Der Spitzenkandidat [2018]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 8. Oktober 2019
Genre: Drama / BiografieOriginaltitel: The Front Runner
Laufzeit: 113 min.
Produktionsland: Kanada / USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Jason Reitman
Musik: Rob Simonsen
Besetzung: Hugh Jackman, Vera Farmiga, J. K. Simmons, Alfred Molina, Mamoudou Athie, Josh Brener, Bill Burr, Oliver Cooper, Chris Coy, Kaitlyn Dever, Tommy Dewey, Molly Ephraim, Spencer Garrett, Ari Graynor, Toby Huss, Mike Judge, Alex Karpovsky, Sara Paxton, Kevin Pollak, Steve Zissis
Kurzinhalt:
US-Senator Gary Hart (Hugh Jackman) aus Colorado hat die besten Chancen, der Spitzenkandidat für die Demokratische Partei bei der Präsidentenwahl 1988 zu werden. Unterstützt von einem starken Wahlkampfteam um Bill Dixon (J.K. Simmons), seiner eigenen Familie, allen voran Ehefrau Lee Hart (Vera Farmiga), steht dem auch bei der Presse beliebten Politiker an sich nichts im Weg. Bis beim Miami Herald Reporter Fotos von dem verheirateten 51jährigen und der erst 29jährigen Donna Rice (Sara Paxton) veröffentlichen. Das Gerücht einer Affäre steht im Raum, die er vehement abstreitet. Doch mit seiner Haltung gegenüber der immer tiefer in sein Privatleben bohrenden Presse, steht für Hart mehr auf dem Spiel, als nur seine politische Karriere. Auch seine Familie leidet zunehmend unter der medialen Belagerung …
Kritik:
In Der Spitzenkandidat schildert Filmemacher Jason Reitman das skandalöse Ende einer Wahlkampfkampagne eines der vielversprechendsten Kandidaten der US-Präsidentschaft im Jahr 1988. Nur bleibt der Eindruck, dass er sich dem Thema zu keiner Zeit von irgendeiner Seite ausreichend nähert, so dass die Figuren darin tatsächlich greifbar werden. Der Film porträtiert vielmehr, wie politische Figuren im Rampenlicht der Medien seziert werden und damit Teil einer Boulevardpresse, von der sie sich normalerweise abzuheben versuchten.
Nach einem kurzen Prolog im Jahr 1984, in dem der demokratische Senator Gary Hart eine Nominierung zum Posten des Präsidentschaftskandidaten der Partei verliert, springt die Erzählung vier Jahre vor und zeigt den charmanten Senator von Colorado als den aussichtsreichsten Anwärter des Spitzenkandidatenpostens. Er gibt sich nahbar, dem Volk verbunden und in der Lage, komplexe politische Zusammenhänge einfach zu erklären. Seine Frau Lee, von der er sich kurzzeitig getrennt hatte und mit der er wieder zusammen ist, hält sich jedoch stark im Hintergrund. Zusammen mit seinem Wahlkampfleiter Bill Dixon absolviert Hart einen erfolgreichen Wahlkampf – bis ein Bericht der Zeitung Miami Herald ihm eine Affäre unterstellt.
Sieht man das unaufhörliche Blitzlichtgewitter, dem sich Gary Hart und seine Familie ab dem Moment gegenübersehen, hört man die intimen Fragen, die ihm bei Pressekonferenzen gestellt werden, muss man sich zur Einordnung vor Augen führen, dass dies zuvor nicht so gewesen ist. Dass Politiker damals keine Leibgarde benötigten, zumindest ehe sie die höchsten Ämter bekleideten. Gary Hart wird nach den unbewiesenen Vorwürfen unter ein mediales Mikroskop gelegt, dessen Brennstrahl kaum jemand überstehen kann.
Man könnte daher vermuten, dass sich Reitman auf eine Verurteilung der vorschnellen Medien konzentrieren würde, die den Höhenflug des Spitzenkandidaten nutzen, um seinen Niedergang möglichst wirksam zu zelebrieren. Tatsächlich jedoch lässt er Vertreter zu Wort kommen, die sich merklich dafür einsetzen, Hart nicht vorzuverurteilen.
Was Der Spitzenkandidat aussagen will, ist schwer einzugrenzen. Auf der einen Seite steht Gary Hart, der sich jegliche Einmischung in sein Privatleben verbittet und auf seine politischen Inhalte verweist, gleichzeitig jedoch seinen eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht zu werden scheint. Dabei präsentiert er sich mehr als Opfer, denn als alles andere. Doch die Frage, wie glaubwürdig ein Kandidat für das höchste Amt ist, der Wasser predigt und vermeintlich Wein trinkt, wird nur kurz aufgeworfen und nicht weiterverfolgt. Auch was diese öffentliche Demütigung seiner Familie, Ehefrau Lee und Tochter Andrea antut, wird nur gesteift. Dass selbst das berühmteste Foto mit ihm und seiner vermeintlichen Geliebten, Donna Rice, das auf dem Cover des National Enquirer landete, nicht einmal erwähnt wird, wirkt, als wollte man Hart bewusst in einem bestimmten Licht darstellen.
Dafür erhalten seine Wahlkampfhelfer viel Zeit vor der Kamera und auch die Seite der Pressevertreter wird beleuchtet. Lobenswert ist, dass das wohl größte Opfer des Skandals, Donna Rice selbst, zumindest in einer Sequenz an Tiefe gewinnen darf und der Film die Frage aufwirft, wie die damals 29jährige ohne den Rückhalt, den Gary durch seine Familie und Helfer erfährt, den Skandal wohl überstehen wird.
Doch ihr widmet Der Spitzenkandidat nicht einmal eine Textzeile am Ende. Dieser merklich einseitige Blick macht es schwer, eine gewisse Objektivität erkennen zu können. Dass der Film in weiten Teilen dennoch interessiert, liegt an der gelungenen Darbietung von Hugh Jackman, der spürbar in seine Rolle des Spitzenpolitikers involviert ist. Doch was tatsächlich in ihm vorgeht, wenn der mediale Druck immer größer wird, wenn seine Haltung, nichts kommentieren zu wollen, seine Position nur schwächt, wird nie deutlich. Es ist beinahe, als würde Reitman keinen zu genauen Blick riskieren wollen. Auf diese Weise allerdings, steht sich der Film ebenso wie der Spitzenkandidat, selbst im Weg. Mit irgendeiner Haltung kann das Publikum sicher umgehen. Keine Haltung jedoch, lässt das Gezeigte unnötig lang erscheinen.
Fazit:
Dass Filmemacher Jason Reitman den Look der späten 1980er-Jahre gekonnt einfängt, ist unbestritten. Auch wenn ihm das beim Erzählstil nicht wirklich gelingt. Dafür ist nicht nur das erste Drittel zu unfokussiert, springt zu sehr zwischen verschiedenen Figuren hin und her, beinahe, als wäre dies eine Dokumentation, der ein Struktur gebender Erzähler fehlt. Wird dann endlich klar, in welche Richtung sich Harts politische Karriere entwickelt und dass eine Affäre ihn zu Fall bringen soll, nimmt der Film kurzzeitig Tempo auf, doch selbst der anonyme Tipp, der die Journalisten erreicht, verläuft im Sande. So ergeht es auch allen Charaktermomenten, die mehr Nebenfiguren betreffen, als die Familie Hart selbst. Auch bei den Informationen am Ende hält sich der Film merklich zurück. Dass sowohl Gary Hart als auch Donna Rice eine Affäre bis heute dementieren, wird nicht einmal erwähnt. Der Spitzenkandidat versucht sich als Charakterstudie aus der Ferne und als Kritik an einer sensationslüsternen Presse, deren berechtigte Punkte jedoch nie fortgeführt werden. Das ist handwerklich tadellos dargebracht und von Hugh Jackman toll gespielt, aber erzählerisch ohne erkennbaren roten Faden. Schade.