Der Brutalist [2024]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 23. Januar 2025
Genre: Drama

Originaltitel: The Brutalist
Laufzeit: 214 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien / Kanada
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Brady Corbet
Musik: Daniel Blumberg
Besetzung: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy, Ariane Labed, Stacy Martin, Emma Laird, Isaach de Bankolé, Alessandro Nivola, Michael Epp, Jonathan Hyde, Peter Polycarpou, Maria Sand, Salvatore Sansone


Kurzinhalt:

Zusammen mit zahlreichen anderen Einwanderern erreicht der ungarische Holocausüberlebende László Tóth (Adrien Brody) 1947 New York. Einst als Architekt in seiner Heimat gefeiert, will László nun neu beginnen und erfährt erst bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola), der sich umbenannt hat und seine Herkunft wie seine Religion verheimlicht, um den Erfolg seines Möbelgeschäfts nicht zu gefährden, dass Lászlós Frau Erzsébet (Felicity Jones) und seine Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) den Schrecken des Zweiten Weltkrieges ebenfalls überlebt haben. Doch eine Reise in die USA können sie sich nicht leisten, zumal sie nicht die nötigen Papiere vorweisen können. Nachdem er beinahe völlig verarmt ist und mit vielen anderen an Suppenküchen ansteht, wird László von dem reichen Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) aufgesucht, dessen Lesesaal László mit seinem Cousin renovierte, was Van Buren jedoch missfallen hat. Nun allerdings wurde der Raum entdeckt und in einer Architekturzeitschrift gefeiert. Deshalb beauftragt Van Buren, der nun die Werke des bekannten Architekten mit anderen Augen sieht, László mit dem Bau eines Gemeindezentrums. Es könnte Lászlós Durchbruch sein, zumal Beziehungen Türen öffnen und dafür sorgen könnten, dass Erzsébet und Zsófia zu ihm kommen können. Doch László ist derart eingenommen von seiner Vision des Baus, dass er keine Kompromisse duldet. Das Projekt führt alle Beteiligten in ihre Grenzen – und darüber hinaus …


Kritik:
Brady Corbets Der Brutalist ist kein Film für ein großes Publikum. Doch für diejenigen, die sich auf das preiswürdig gespielte und geradezu poetisch anmutig inszenierte Drama einlassen, bietet es vermutlich das, was dem Blick in die Seele von Kunstschaffenden am nächsten kommt. Getrieben von seiner unbändigen Unnachgiebigkeit, steckt hinter dem Meisterwerk des porträtierten Architekten die Verkörperung der Aufarbeitung eines unbegreiflichen Traumas. Das ist in jeder Hinsicht gewaltig, aber schwere Kost.

Dreieinhalb Stunden lang bzw. über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren begleitet Filmemacher Corbet den ungarisch-jüdischen Holocaustüberlebenden und Architekten László Tóth, der 1947 in New York ankommt, auf der Suche nach einem Neubeginn. Er hat das Konzentrationslager überlebt und erfährt erst von seinem Cousin Attila in Philadelphia, in dessen Möbelgeschäft er eine Arbeit aufnimmt, dass seine Frau Erzsébet zusammen mit seiner Nichte Zsófia ebenfalls noch am Leben sind. Nachdem der reiche Harrison Lee Van Buren, dessen Bibliothek László mit seinem Cousin renoviert, erfährt, dass Lászlós Design wegweisend ist und er in Budapest ein gefeierter Architekt war, revidiert er seine anfangs ablehnende Haltung und wird zu seinem Förderer. Er beauftragt László mit dem Bau eines Gemeindezentrums, mit dem er nicht zuletzt dem Familiennamen ein Denkmal setzen will. Für den Einwanderer László ist das Projekt nicht nur eine Möglichkeit, in seiner neuen Heimat Anerkennung zu finden, sondern seiner Leidenschaft ebenso Ausdruck zu verleihen, wie dem Schmerz, der ihn seit Jahren verfolgt. Doch je mehr das Projekt voranschreitet, umso mehr Interessen sollen berücksichtigt werden und umso mehr Kompromisse soll der Architekt eingehen. Dabei ist ihm seine Kunst wichtiger, als selbst sein eigenes Leben.

Wie wichtig genau, sieht man dann, wenn László Sparvorgaben umsetzen soll. Um seine Vision zu erhalten, ist er bereit, auf einen Teil seines Lohns zu verzichten, selbst wenn dies bedeutet, dass er mit Erzsébet und Zsófia weiterhin in einem spärlich möblierten Gästehaus der Van Burens wohnen bleibt. Nach seinem ersten Auftritt, in dem er sich als gleichermaßen cholerisch wie rassistisch offenbart, scheint Harrison Lee Van Buren in gewisser Weise geläutert, als habe er Lászlós Talent erkannt und wollte ihm nun helfen, es zur Geltung zu bringen. Ungeachtet ihrer so anregenden wie abgehoben klingenden Unterredungen, wird jedoch deutlich, je länger man auch Van Burens Entwicklung in Der Brutalist begleitet, dass es sich bei ihm nicht um einen Mäzen handelt. Nicht nur, dass er darauf aus ist, sich mit dem Talent Lászlós zu rühmen, um sich selbst zu verewigen, Van Buren, dessen einzige Begabung es ist, in eine reiche Familie geboren worden zu sein, kaschiert vielmehr seine offene Verachtung nur besser als sein Sohn, der László ins Gesicht sagt, dass er dort nur geduldet würde. Die Beziehung zwischen Auftraggeber und Architekt, die László lange Zeit als auf Augenhöhe wahrnimmt, mündet in einem Moment, in dem die Macht und Erniedrigung, die reiche Menschen über mittellose, aber talentierte ausüben, auf erschreckende Weise verdeutlicht wird.

Dies mitanzusehen, ist ebenso schockierend, wie unfassbar, dass László sein Werk trotz allem fortführen will – so sehr ist er dessen Verwirklichung verhaftet. Der Brutalist schildert ihn als einen bedingungslosen Künstler, der sich in einem fremden Land zu behaupten versucht. Seine Kunst findet Beachtung, er selbst jedoch wird nur oberflächlich akzeptiert, wenn schon nicht aufgenommen. Nichts fällt ihm schwerer, als hinsichtlich seines Kunstwerks Kompromisse einzugehen und bedenkt man die treffende und mitunter auch Augen öffnende Analyse des Epilogs, dessen zeitlicher Sprung das Publikum zweiteilen wird, wird auch deutlich, weshalb. Seine Leidenschaft für sein Projekt, die Vollkommenheit, mit der er seine Vision vor Augen sieht, noch bevor der erste Spatenstich gesetzt ist, lässt ihn jeden Kompromiss wie einen Rückschlag erleben, der all dies einreißt. Seine Frau Erzsébet sieht in Lászlós Design und Architektur seine Persönlichkeit. Selbst wenn ihr beider Wiedersehen nicht so verläuft, wie sie sich erhofft haben, sie versteht ihn, wie niemand anders.

Alledem beizuwohnen, ist auf eine einnehmende Art und Weise faszinierend, so dass die ersten 100 Minuten bis zur in die Laufzeit eingerechneten Pause merklich schneller vergehen, als man vermuten würde. Die unterstreicht, ebenso wie die Ouvertüre oder die Tatsache, dass Der Brutalist nicht nur auf richtigem Filmmaterial, sondern sogar im höher aufgelösten VistaVision-Format gedreht –leichte Unreinheiten sind sogar enthalten – ein geradezu erfrischend klassisches Filmerlebnis ist. Die Bilder sind so erlesen wie geradezu meditativ, dicht an den Figuren, deren Gefühlsregungen überlebensgroß auf der Leinwand eingefangen werden. Nicht nur für Adrien Brody in der Hauptrolle, auch für Guy Pearce als Harrison Lee Van Buren und Felicity Jones als Lászlós Frau Erzsébet ist, die schiere Bandbreite dessen zum Leben zu erwecken, was die Figuren durchleben, ein Kraftakt. Ihnen zuzusehen, ist im Falle des begeisterten László geradezu ansteckend wie enigmatisch, ihr Leiden jedoch gleichermaßen nahegehend. Regisseur Brady Corbet verweilt in vielen Situationen länger bei ihnen, als einem angenehm ist und zwingt das Publikum so, sich ihren wie den eigenen Gefühlen zu stellen. Das ist großes Kino, wie es dies nur selten gibt – doch es braucht ein Publikum, das bereit ist, sich darauf einzulassen.


Fazit:
Der zweideutige Titel des Films beschreibt einerseits den Stil von Architekt László Tóth, der sich dem von Betonbauten und klaren Konzepten geprägten Brutalismus verschrieben hat, aber auch die Unnachgiebigkeit, mit der er seinen Prinzipien folgt, selbst wenn er selbst darunter leidet. Dass er als Künstler Drogen verfällt, könnte man als Klischee deuten, doch findet die Erzählung einen Weg, die Sucht als Folge der Schmerzmittel vorzustellen, die László ebenso auf Grund seiner körperlichen Schmerzen wie seines Traumas einnimmt. Diesen Visionär zu begleiten und ihn wie seine Passion gleichermaßen verstehen zu lernen, ist ungemein interessant. Auch, da Brady Corbet sein Publikum verstehen lässt, was László und seine Familie durchlebt haben, selbst wenn sie nicht darüber sprechen. Umso greifbarer wird, wie sehr es László zermürbt, dass er seine Vision womöglich nicht vollendet sieht. Herausragend ergreifend wie facettenreich gespielt, ist Der Brutalist ein ebenso fantastisch ausgestattetes wie in Szene gesetztes Drama, das die Einwanderergeschichte selbst feiert. Ein Porträt, das für das richtige Publikum so einnehmend anzusehen ist, wie es mitunter anstrengend gerät. Die zeitlichen Sprünge machen es nicht immer einfach, bei den Figuren zu bleiben und manche Entscheidungen mögen befremdlich erscheinen. Doch das schmälert nicht das filmische Kunstwerk, das man hier entdecken darf.
Großartig!