Das Rätsel [2019]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 24. April 2023
Genre: ThrillerOriginaltitel: Les Traducteurs
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Régis Roinsard
Musik: Jun Miyake
Besetzung: Lambert Wilson, Alex Lawther, Olga Kurylenko, Riccardo Scamarcio, Sidse Babett Knudsen, Eduardo Noriega, Anna Maria Sturm, Frédéric Chau, Maria Leite, Manolis Mavromatakis, Sara Giraudeau, Patrick Bauchau, Sergueï Nesterenko, Ilya Nikitenko, Miglen Mirtchev, Michel Bompoil
Kurzinhalt:
Sehnlichst wird der dritte Roman des öffentlichkeitsscheuen Pseudonym-Autors Oscar Brach erwartet, gleichzeitig Abschluss der internationalen Bestsellerbuchreihe „Dedalus“. Verleger Eric Angstrom (Lambert Wilson), der einzige, der Brachs Identität kennt, rührt bereits die Werbetrommel und überlegt eine besondere Vorgehensweise, um zu verhindern, dass Teile des Buches vorab ins Internet gelangen. Neun Übersetzerinnen und Übersetzer, darunter die von den Dedalus-Büchern geradezu besessene Katerina Anisinova (Olga Kurylenko) und Alex Goodman (Alex Lawther), der unbedingt Brach persönlich kennenlernen will, werden in einem abgelegenen Herrenhaus in Frankreich untergebracht. Dort sollen sie in völliger Abgeschiedenheit die Übersetzung vornehmen, unter den wachsamen Augen einer Sicherheitsmannschaft. Wenig später erscheinen die ersten Seiten trotzdem im Internet und Angstrom erhält die Aufforderung, fünf Millionen Euro Lösegeld zu bezahlen, sonst würde der Roman stückweise veröffentlicht. Da nur die Personen in dem Herrenhaus Zugriff auf das Manuskript haben können, greift Angstrom zu drastischen Mitteln, die undichte Stelle zu finden …
Kritik:
Régis Roinsards Thriller Das Rätsel mutet an wie eine französische Variation von Die üblichen Verdächtigen [1995], was gleich zwei Dinge verrät. Zum einen, dass die Story auf eine Art und Weise erzählt ist, dass man sich fragt, was tatsächlich geschehen ist und zum anderen, dass es inhaltliche Überraschungen gibt, die genau das immer wieder in Frage stellen. So gelungen das insgesamt ist, man kann durchaus darüber diskutieren, ob eine geradlinigere Erzählung nicht packender gewesen wäre.
Die Geschichte beginnt mit Bildern einer brennenden Buchhandlung und bleibt dem Medium insgesamt treu. Auf einer Buchmesse gibt Verleger Eric Angstrom, gespielt von einem so geforderten wie engagierten Lambert Wilson, bekannt, dass in Kürze der dritte Band der „Dedalus“-Buchreihe veröffentlicht wird. Die bisherigen Bücher sind nicht nur Bestseller, sie haben Angstroms Verlag gerettet und eine internationale Marke etabliert. Eine Milliarde Dollar haben die ersten beiden Romane eingenommen und der Hype in der Fangemeinde auf den Abschluss der Trilogie könnte größer kaum sein. Um zu verhindern, dass Details des Buches nach außen gelangen und einen international synchronen Start zu ermöglichen, werden neun Übersetzerinnen und Übersetzer verschiedener Nationalitäten in das Herrenhaus Villette in Frankreich gebracht. Dort sollen sie, unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen und mit Security vor Ort, in einem modern eingerichteten und abgeschirmten Keller die Übersetzungen anfertigen. Sie erhalten jeweils nur so viele der insgesamt 480 Seiten wie notwendig, dürfen keinen Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen und müssen sämtliche private Elektronik abgeben. Der Zugang im Internet ist strengstens untersagt. Doch dann werden die ersten 10 Seiten des Romans im Internet veröffentlicht und ein Hacker fordert fünf Millionen Euro, sonst wird er nachlegen. Für Angstrom ist klar, das Leck kann nur eine Person auf dem Landgut sein und so wendet er sämtliche ihm zur Verfügung stehende Mittel an, bis hin zu körperlicher Gewalt, um den Hacker zu finden.
Das Rätsel bereitet sich selbst eine hervorragende Bühne, um hieraus einen packenden Mystery-Thriller zu erzählen. Angefangen von einer kleinen Gruppe an Menschen, die in einem abgeschiedenen Ort isoliert werden, bis hin zu dem modern eingerichteten Keller, in dem man mit Swimmingpool, Bowlingbahn, Bibliothek und Küche mühelos den Weltuntergang überleben könnte. Doch dauert es erstaunlich lange, ehe die Geschichte überhaupt erst an den Punkt gelangt, dass Teile des Buches veröffentlicht werden und wenn dies geschehen ist, verlässt Roinsard diesen abgeschlossenen Bereich erstaunlich oft, anstatt die Schlinge immer enger zu ziehen. Das liegt zum großen Teil an der Erzählung selbst, die nicht in der richtigen zeitlichen Abfolge präsentiert wird. So springt die Story immer wieder zu Szenen, in denen Eric Angstrom zwei Monate später in einem Gefängnis mit dem Hacker spricht, den das Publikum jedoch nicht zu sehen bekommt. Hinzu gesellen sich Rückblicke in den Werdegang mancher Figuren, die inhaltlich durchaus wichtig sind, aber in der Struktur, in der sie präsentiert werden, dafür sorgen, dass die im Grunde beklemmende Situation, in der sich die Übersetzerinnen und Übersetzer befinden, nicht mehr greifbar ist.
Vielleicht wäre es empfehlenswerter gewesen, eine tatsächliche Rahmenhandlung mit Angstrom vorzustellen, der der für den Leak verantwortlichen Person im Gefängnis gegenübersitzt, und sich dann auf die Geschehnisse während der Übersetzung zu konzentrieren. Immer wieder zeitlich aus der Erzählung zu springen, kostet den Thriller merklich Spannung. Zumal nicht nachvollziehbar wird, wie viel Zeit dem Verlag bleibt, das Lösegeld überhaupt zu zahlen, und wie lange die Übersetzerinnen und Übersetzer daraufhin von Angstrom eingesperrt und bedroht werden. Man würde eine stetige Eskalationsstufe erwarten, doch handelt es sich hierbei mehr um ein Auf und Ab. So überraschend manche Wendungen dabei durchaus sind, andere werden zuvor mit keiner Silbe vorbereitet und können daher vom miträtselnden Publikum auch nicht antizipiert werden. Dabei ist Das Rätsel durchaus darum bemüht, auch die Handlung der Dedalus-Romane in die eigentliche Geschichte mit einzuweben. Mit Zitaten, oder damit, dass sich Übersetzerin Katerina Anisinova mit der ermordeten Romanfigur Rebecca identifiziert. Vollends genutzt in dem Sinne, dass die Kunst das Leben imitiert und umgekehrt, wird der Aspekt jedoch nicht.
Dies klingt negativer, als es tatsächlich gemeint ist, denn als Mystery-Thriller, der viele falsche Fährten legt, ist Das Rätsel durchaus gelungen und handwerklich tadellos umgesetzt. Vor allem ist er von der internationalen Besetzung engagiert gespielt und weiß, mit der Erwartungshaltung des Publikums umzugehen. Insbesondere die Schilderung dessen, wie Angstrom der Roman vermeintlich abhanden gekommen sein könnte, ist durchaus packend. Doch insgesamt nimmt das Schicksal der diesem Tyrann ausgelieferten Figuren kaum mit, was auch daran liegt, dass man über sie nur wenig erfährt. Insofern gibt es hier viel ungenutztes Potential, bis hin zu den abgeschiedenen Räumlichkeiten, die zwar vorgestellt, aber nur wenig Teil der Geschichte werden. Auch ergibt die zwei Monate später spielende Handlung inhaltlich nur wenig Sinn. Doch wer einen Haken schlagenden Genrefilm erwartet, kann sich hier durchweg gut unterhalten lassen.
Fazit:
Nicht nur, weil einige der anwesenden Übersetzerinnen und Übersetzer selbst glühende Fans der Dedalus-Romane sind, könnte man davon ausgehen, dass sie sich selbst gegeneinander wenden, wenn sie von Verleger Angstrom in die Enge gedrängt werden, zu benennen, wer die Seiten ins Internet stellt. Diesen Aspekt greift das Drehbuch auch auf, doch vollends zur Geltung gebracht, wird er nicht. Régis Roinsard erzählt stattdessen eine Geschichte, die viele Elemente mit sich bringt, wie die Isolation an jenem Ort im Keller des abgelegenen Landguts, ohne sie jedoch zu nutzen. Vielmehr scheint er darauf aus, die verzwickte Erzählung auf mehreren Zeitebenen zu verwenden, um das Publikum zu verwirren. Das gelingt durchaus und die Story kann mit ihren verstrickten Wendungen, insbesondere am Ende, durchaus überzeugen. Manche Twists lassen die Ereignisse beim erneuten Ansehen sogar in einem anderen Licht erscheinen. Doch genau diese Punkte sind auch der Grund, weshalb das Geschehen kaum packt. Im Mittelteil ein wenig zu lang und unstrukturiert, ist Das Rätsel gut gespielt und tadellos gefilmt, sodass Genrefans ein solider, internationaler Thriller erwartet. Der ist nicht so mitreißend, wie er sein könnte, dem Rätselspaß tut das aber keinen Abbruch.