Das alte finstere Haus [1932]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 1. Oktober 2022
Genre: Horror / KomödieOriginaltitel: The Old Dark House
Laufzeit: 72 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1932
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: James Whale
Musik: David Broekman
Besetzung: Boris Karloff, Raymond Massey, Gloria Stuart, Melvyn Douglas, Charles Laughton, Lilian Bond, Ernest Thesiger, Eva Moore, Elspeth Dudgeon, Brember Wills
Kurzinhalt:
Als sie während eines schlimmen Unwetters mit dem Auto unterwegs sind, suchen Philip Waverton (Raymond Massey), seine Frau Margaret (Gloria Stuart) und ihr gemeinsamer Freund Roger Penderel (Melvyn Douglas) Zuflucht in einem abgelegenen Haus. Nachdem ihnen der stumme Butler Morgan (Boris Karloff) Einlass gewährt, erlauben ihn schließlich die Geschwister Horace (Ernest Thesiger) und Rebecca Femm (Eva Moore), den Sturm im Haus auszusitzen. Doch die abweisende Art der beiden überrascht die Neuankömmlinge ebenso, wie die Tatsache, dass Morgan Margaret zu beobachten scheint. Während des Abendessens treffen die ebenfalls gestrandeten Sir William Porterhouse (Charles Laughton) und die Revuetänzerin Gladys (Lilian Bond) ein. Aber nicht nur, dass die Stimmung in der Gruppe merklich angespannter wird, der ausgefallene Strom setzt den Anwesenden zusätzlich zu. Aus den oberen Stockwerken erklingen Geräusche, als sei noch jemand im Haus und der zunehmend betrunkene Morgan wird immer gefährlicher …
Kritik:
Basierend auf J.B. Priestleys Roman Von der Nacht überrascht [1927], ist die Horrorkomödie Das alte finstere Haus (auch bekannt als Das Haus des Grauens) mehr als nur ein Stelldichein von bekannten Namen Hollywoods jener Ära und der Jahrzehnte danach. Sie ist auch mehr als die erste Rolle, für die Darsteller Boris Karloff überhaupt auf Filmplakaten gelistet war. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen wahren Klassiker des Genres, der zahlreiche Elemente prägte, die sich auch heute noch – beinahe 100 Jahre später – in ähnlichen Geschichten wiederfinden.
Diese beginnt hier in einer stürmischen Nacht, in der Philip Waverton zusammen mit seiner Frau Margaret und ihrem Freund Roger Penderel in Wales mit dem Auto unterwegs sind und sich hoffnungslos verirrt haben. Sturzbachartiger Regen hat Schlammlawinen ausgelöst und die Straße unter Wasser gesetzt. Sie kommen mit Mühe zu einem steinernen Haus, bei dem ihnen Horace Femm und seine Schwester Rebecca Unterschlupf gewähren. Aber nicht nur, dass Horace ungewöhnlich beunruhigt auftritt angesichts von Fremden, die die Nacht in dem Haus verbringen sollen, jenes Haus wirkt auf die Neuankömmlinge selbst beunruhigend. Angefangen vom stummen Butler Morgan, über den Horace erzählt, er werde gewalttätig, wenn er trinkt, was er in solchen Nächten gern tut. Aber auch die schwerhörige Rebecca macht Margaret Angst und die drei Fremden glauben, Stimmen aus den oberen Stockwerken zu hören. Kurz darauf trifft mit Sir William Porterhouse und der Revuetänzerin Gladys Perkins in weiteres, ungleiches Paar ein, das zusätzlich für Spannungen sorgt.
Die Story von Das alte finstere Haus klingt bekannt, was daran liegt, dass unzählige Filme dieselbe oder eine vergleichbare Ausgangslage aufgegriffen haben, um daraus ihre eigenen Storys zu erzählen. Selbst modernere Klassiker wie Rocky Horror Picture Show [1975] sind lediglich eine Abwandlung hiervon. Filmemacher James Whales rückt bei seiner Inszenierung mehrere Schwerpunkte ins Zentrum. Zum einen die Frage, was es mit dem alten, unheimlichen Haus auf sich hat, dessen Bewohner so seltsam verhalten. Zum anderen, weshalb Horace und seine Schwester auf ihre unterschiedliche Weise so abweisend gegenüber den Unterschlupf suchenden Fremden sind, und schließlich, welche Spannungen sich innerhalb der Gruppe durch eine sich entwickelnde Liebschaft ergeben. Insbesondere auf Grund der kurzen Laufzeit ist letztere kaum greifbar. Dafür entblättert die Geschichte Schicht um Schicht die Geheimnisse der Familie Femm, die düsterer sind, als man erwarten würde. Gerade die teils trockenen Kommentare der Figuren zu Beginn weichen so in der zweiten Filmhälfte einer steigenden Bedrohung für die Charaktere, die in Anbetracht des tobenden Unwetters das Haus kaum verlassen können.
Seine durchaus unheimliche Stimmung verdankt Das alte finstere Haus zum einen dem ausgesprochen gelungenen Make-up, durch das Boris Karloffs Morgan noch bedrohlicher erscheint, aber auch der Inszenierung insgesamt, bei der James Whale sehenswert mit den sich verschiebenden und tanzenden Schatten spielt, hervorgerufen durch das Kaminfeuer des zentralen Raums der Geschichte. Gesprungene Spiegel, in denen die Ebenbilder der Charaktere zu sehen sind, die engen, dunklen Treppenaufgänge und nicht zuletzt der tosende Sturm, dessen Regen man durch die Fenster stets sehen kann, spielen hierbei ebenfalls eine Rolle. Vieles hiervon mag aus heutiger Sicht bei dieser Art Film erwartet werden, doch es sind Klassiker wie diese, die Grundelemente des Genres überhaupt etablierten. Berücksichtigt man hierbei, unter welchen Umständen die Bilder entstanden sind, welche Besonderheiten der Belichtung berücksichtigt werden mussten, um solch kontrastreiche Schatten in den Schwarzweißbildern überhaupt einfangen zu können, ist das umso beeindruckender.
Das bedeutet nicht, dass die Konfrontation der Figuren im letzten Drittel durchweg überzeugt, zumal nur wenige Figuren für die sich abzeichnende Auseinandersetzung überhaupt zusammenkommen. Auch wirkt die Liebesgeschichte nur halbherzig eingewoben. In diesen Belangen glänzen Genreklassiker wie King Kong und die weiße Frau [1933] durch die gelungenere Dramaturgie mehr, oder Fritz Langs Metropolis [1927] durch die grundsätzliche Komposition der einzelnen Sequenzen. Eine solche bildet sich bei Das alte finstere Haus beispielsweise heraus, wenn Philip und Horace die Lampe aus dem obersten Stock holen wollen, oder Margaret und ihr Mann das verschlossene Zimmer im oberen Stockwerk erkunden. Die Stimmung jener Szenen ist bestechend, damals wie heute. An manchem sollten sich moderne Filmschaffende durchaus ein Beispiel nehmen.
Es gab eine Zeit, da galt Das alte finstere Haus als verlorener Film. Nach dem Verlust der Rechte am Roman war die Adaption aus juristischen Gründen nicht mehr verfügbar und wurde schließlich von Curtis Harrington neu zusammengetragen. Umfassend restauriert und 2017 von Cohen Media in einer angefertigten 4K-Abtastung neu ins Kino gebracht, wird diese Veröffentlichung zum 90jährigen Jubiläum des Films nun auch hierzulande als DVD von PIDAX zugänglich. Im Gegensatz zur zuletzt veröffentlichten „Digital Remastered“-Fassung von AL!VE handelt es sich nun auch um die vollständig restaurierte Fassung. Die deutsche Sprachspur ist jedoch dieselbe wie diejenige aus 2013, was bedeutet, dass bedauerlicherweise dieselben Tonfehler (Aussetzer) enthalten sind. Auch fehlt nun die Produktionsnotiz betreffend Boris Karloffs Beteiligung vorweg. Wovon die PIDAX-Veröffentlichung am offensichtlichsten profitiert, ist die unermesslich verbesserte Bildqualität. Nicht nur, dass die auf dem Filmmaterial enthaltenen Fehler sich nunmehr auf ein Minimum beschränken, das Bild ist bedeutend laufruhiger und darüber hinaus sind Schärfe und Detailtreue kaum wiederzuerkennen. Erst die Restaurierung bringt Details an den Wänden hervor, das Wabern der Hitze des Kaminfeuers oder die am Rand prominente Unschärfe der verwendeten Kameralinsen. Bei der letzten Heimkinoauswertung vollkommen überbelichtete Flächen, in denen nichts zu erkennen war, sind nun fein definiert und in dunklen Schatten sind noch kontrastreiche Details sichtbar. Sieht man die Verbesserungen bereits auf der niedrig aufgelösten DVD, die geradezu einen neuen Film erkennen lassen, mag man sich kaum vorstellen, was für Feinheiten die 4K-Abtastung bei einem höher aufgelösten Medium wie einer Blu-ray ermöglichen würde. Bedauerlicherweise wird die in den USA verfügbare Blu-ray nicht von PIDAX vertrieben, so dass für Filminteressierte in Deutschland einzig die DVD übrig bleibt. Die wartet neben zwei Audiokommentaren (mit Darstellerin Gloria Stuart und Biograf James Curtis) auch mit einer Bildergalerie, einem sehenswerten Interview mit Karloffs Tochter Sara Karloff, einer ebenso bemerkenswerten Featurette über Curtis Harringtons Bemühungen, Das alte finstere Haus zu bewahren (beides leider ohne deutsche Untertitel), und einem Filmtrailer zur Restaurierung auf. Interessierte finden mit der PIDAX-Veröffentlichung die beste Möglichkeit, den heuer 90 Jahre alten Filmklassiker zu entdecken. Wie wichtig es ist, solche Schätze des Mediums zu bewahren, wird nicht zuletzt an Harringtons Schilderungen deutlich. Wie viele wahre Klassiker in den Kellern der Studios verschimmelt und für immer verloren sind, mag man sich gar nicht vorstellen. Umso erfreulicher, dass es in diesem Fall gelungen ist, ihn auch künftig zugänglich zu machen.
Fazit:
Nachdem sein Auftritt als Monster in der Adaption von Mary Shelleys Frankenstein [1931] Kultstatus erlangte (Regie ebenfalls James Whale), ist Boris Karloff hier in einer weiteren schweigsamen Rolle zu sehen. Durch seinen unruhigen Blick und seine unerklärliche Fixierung auf Margaret, wirkt er nicht weniger bedrohlich. Dabei ist der größere Horror jenes Hauses der, der sich in den oberen Stockwerken versteckt. Zugegeben, der wird erst spät entdeckt und das Drehbuch verbringt viel Zeit damit, die Figuren in Gesprächen zu zeigen, oder eine Liebesgeschichte zu präsentieren, die nur wenig überzeugt. Insofern mag man sich durchaus fragen, ob es sich lohnt, 90 Jahre alte Filme neu zu entdecken. Weshalb dem so ist, beweist Das alte finstere Haus eindrucksvoll, denn nicht nur, dass Whales Regiearbeit das Genre nachhaltig beeinflusste, sondern Vieles, was man heute als altbekanntes Klischee erkennt, überhaupt erst etablierte. Handwerklich beeindruckt der Film durch eine gelungene und immer noch verblüffende Optik, die zu einer tollen Stimmung beiträgt, während die erstaunlich humorvolle erste Filmhälfte nicht nur unerwartet ist, sondern sich von der ernsteren Atmosphäre der zweiten merklich abhebt. Auf Grund der inhaltlichen Schwächen macht ihn das zwar nicht zu einem Meisterwerk, wohl aber zu einem für Enthusiastinnen und Enthusiasten sehenswerten Klassiker.
Das alte finstere Haus ist seit 23. September 2022 als Remastered Edition - Neue 4K-Abtastung auf DVD im Verleih von Pidax Film- und Hörspielverlag GmbH erhältlich! |
|
Urheberrecht des Bildes liegt bei Pidax Film- und Hörspielverlag GmbH. Verwendet mit freundlicher Genehmigung. |