Captain Marvel [2019]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. März 2019
Genre: Science Fiction / Action

Originaltitel: Captain Marvel
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Anna Boden, Ryan Fleck
Musik: Pinar Toprak
Darsteller: Brie Larson, Samuel L. Jackson, Ben Mendelsohn, Jude Law, Annette Bening, Clark Gregg, Lashana Lynch, Djimon Hounsou, Gemma Chan, Akira Akbar, Lee Pace, Mckenna Grace, Colin Ford


Kurzinhalt:

Auf dem Heimatplaneten der außerirdischen Kree, Hala, wird die mit außergewöhnlichen Kräften ausgestattete Vers (Brie Larson) von Yon‑Rogg (Jude Law) trainiert. Doch bei ihrem ersten Einsatz gegen die Skrull, mit denen die Kree Krieg führen, gerät sie in Gefangenschaft. Talos (Ben Mendelsohn) ist an Informationen interessiert, die tief in Vers’ Gedächtnis vergraben sind. Auf der Flucht landet Vers auf der Erde. Ihr einziger Anhaltspunkt ist das geheime Projekt Pegasus einer Wissenschaftlerin (Annette Bening), die sie zu kennen glaubt. Doch Talos und andere Skrull sind ihr auf die Erde gefolgt und in der Lage, jedes nur erdenkliche Aussehen anzunehmen. Auf Unterstützung durch ihre Einheit Kree-Krieger kann Vers vorerst nicht hoffen, doch in S.H.I.E.L.D.-Agent Nick Fury (Samuel L. Jackson) findet sie unerwartete Unterstützung. Ihre gemeinsame Suche nach Pegasus führt sie zurück in Vers’ eigene Vergangenheit, an die sie sich selbst nicht erinnern kann …


Kritik:
Mit Captain Marvel leiten die Macher des Marvel Cinematic Universe den Endspurt zum „Endgame“ ein, das Fans mit dem gleichnamigen, kommenden Avengers-Film erwarten wird. Dass dessen großer Cliffhanger hier somit nicht aufgelöst wird, überrascht nicht. Dabei gelingt den Filmemachern Anna Boden und Ryan Fleck mehr als nur ein Lückenfüller. Sie stellen in der Titelheldin eine Figur vor, die auf der Suche nach ihrer eigenen Vergangenheit viel mehr entdeckt und mühelos weitere Abenteuer tragen könnte.

Ob dem so sein wird, sei an der Stelle nicht verraten, Kenner der inzwischen 21 Filme umspannenden Comicreihe wissen jedoch, dass sie während dem Abspann sitzen bleiben sollten. Auch danach kommt hier noch eine kurze Szene. Wer mit der Comicvorlage um Carol Danvers alias Vers alias Captain Marvel nicht vertraut ist, wird die ersten 20 Minuten des Films inhaltlich vermutlich als so verwirrend empfinden wie dieser Kritiker. Es ist dabei nicht, dass man nicht wüsste, was geschieht. Das Drehbuch stellt Vers als Kriegerin der außerirdischen Kree vor, die zwar seit einigen Jahren von Yon‑Rogg (Jude Law) trainiert wird und mächtige Fähigkeiten besitzt, diese aber nicht kontrollieren kann. Zudem wird sie von Alpträumen einer möglichen Vergangenheit geplagt, an die sie sich nicht wirklich erinnern kann. Die Kree führen Krieg mit den Skrull, die in der Lage sind, ihre Gestalt zu ändern. Bei ihrer ersten Mission wird Vers gefangengenommen, kann den Skrull um Anführer Talos jedoch entkommen und landet auf der Erde, wo sie wiederum auf S.H.I.E.L.D.-Agenten Nick Fury trifft. Das eigentliche Problem daran ist, dass das Publikum nicht erfährt, warum all das geschieht. Wieso führen die Kree Krieg, weshalb will Vers unbedingt kämpfen und wie kommt es, dass sie sich nicht erinnert? Manches hiervon wird im Lauf der Geschichte noch beantwortet, alles jedoch nicht.

Auch wenn es eigentlich ihr Ziel ist, die kaum erkennbaren Skrull-Krieger zu enttarnen, führt sie ihre Suche immer weiter in Vers’ Leben vor den Kree, an das sie sich nicht erinnert und in dem sie eine Kampfpilotin der U.S. Air Force war. Captain Marvel bietet dabei viele gelungene Momente und präsentiert sich überraschend leichtfüßig, wenn auch nie so unbeschwert wie Doctor Strange [2016]. Dazu trägt der tolle und umfassend umgesetzte Zeitkolorit bei, immerhin spielt die Geschichte im Jahr 1995. Pop-Songs, Technik, Mode und Frisuren sind fantastisch getroffen und werden vor allem dem etwas älteren Publikum immer wieder ein Lachen entlocken. Auch die Ursprungsgeschichte an sich, in deren Zentrum eine Heldin steht, die weder sich selbst, noch ihre Kräfte tatsächlich kennt, ist passend erzählt. Leider wird der vermeintliche Kniff um den tatsächlichen Schurken jedoch vollkommen unspektakulär dargebracht, so dass die persönliche Auswirkung für Carol nicht ansatzweise greifbar wird. So gut Vieles gelingt, so wenig nehmen die vielen Actionszenen mit.

Das liegt unter anderem daran, dass viel der Action im Dunkeln stattfindet und so schnell und bewegt inszeniert ist, dass man auch ohne 3D kaum etwas erkennt. Dabei geht einerseits die Übersichtlichkeit verloren, andererseits wird nie klar, über welche Kräfte die Titelheldin tatsächlich verfügt. Sie kann Plasmaladungen aus ihren Fäusten abfeuern und damit ganze Gebäude dem Erdboden gleichmachen, ihre Widersacher werden davon jedoch „nur“ durch die Gegend geschleudert und scheinbar nicht einmal körperlich verletzt.
Dafür entschädigen die Wortgeplänkel zwischen Nick Fury, bevor er Leiter der Spezialeinheit wurde, und der taffen Carol. Ihre Chemie trägt den Film auch dann, wenn sich manche Ideen – wie beispielsweise die stets von Fury zu knuddelnde Katze, die am Ende beinahe die Show stiehlt – etwas oft wiederholen. Im Film treten Samuel L. Jackson und Clark Gregg als Agent Coulson stark verjüngt auf; es ist das mit Abstand beste De-aging, das es in dieser Art zu sehen gab und lässt insbesondere bei Fury keine Zweifel daran, dass dies dieselbe Figur ist, wie man sie aus den anderen Comic-Filmen kennt.

Captain Marvel beginnt mit einem stillen, aber tollen Tribut an den kürzlich verstorbenen Stan Lee und endet auf eine Weise, die sich nahtlos in das bisherige Filmuniversum einfügt. Dass Carol Danvers in ihrer Uniform auch ohne Umhang an einen weiblichen Superman erinnert, ist kein Kritikpunkt. Im Gegenteil, ihr Abenteuer ist bedeutend unterhaltsamer und kurzweiliger als es die letzten um den Kryptonier gewesen sind.


Fazit:
Es hat den Eindruck, als würden die Macher bei Captain Marvel etwas zu viel voraussetzen. Nach dem mystischen Universum des Donnergottes Thor, der magischen Welt von Doctor Strange und dem bunten Science Fiction-Universum der Guardians of the Galaxy, wird das Publikum erneut mit einer Rahmenhandlung konfrontiert, die neue Charaktere und Spezies beinhaltet, ohne sie jedoch greifbar vorzustellen. Das macht den Einstieg und die erste halbe Stunde überaus holprig. Die stimmige Besetzung, angeführt von Brie Larson, die eine Balance zwischen innerer Stärke und Unsicherheit angesichts der Vergangenheit ihres Charakters offenbart, entschädigt hierfür. Ben Mendelsohn als Skrull Talos ist ebenso ein Highlight. Während die Action-Sequenzen nur wenig einfallsreich aufgebaut oder umgesetzt sind, überzeugt die grundlegende Atmosphäre, die auch vom natürlichen Humor geprägt wird. Dass die Filmemacher überdies den ersten eigenen Film einer Marvel-Heldin mit inspirierenden Aussagen eben zu ihrer Stärke und ihrer Unabhängigkeit garnieren, rundet den guten Gesamteindruck ab. Als Ursprungsgeschichte ist das tadellos gelungen und offenbart ebenso das Potential der Figur.