Auge um Auge [2013]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 07. September 2014
Genre: Drama

Originaltitel: Out of the Furnace
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Scott Cooper
Musik: Dickon Hinchliffe
Darsteller: Christian Bale, Woody Harrelson, Casey Affleck, Sam Shepard, Willem Dafoe, Zoe Saldana, Forest Whitaker, Tom Bower, Bingo O'Malley, Bobby Wolfe


Kurzinhalt:
Frisch aus dem Gefängnis entlassen, muss Russell Baze (Christian Bale) feststellen, dass das Leben, wie er es kannte, nicht mehr existiert. Sein Bruder Rodney (Casey Affleck) ist seit seiner Rückkehr aus dem letzten Auslandseinsatz nicht mehr derselbe und Russells Ex-Freundin Lena (Zoe Saldana) ist inzwischen mit dem Polizisten Wesley Barnes (Forest Whitaker) liiert. Einzig die Arbeit im Stahlwerk ist Russell geblieben. Sein Bruder verdient mit Faustkämpfen etwas Geld, die John Petty (Willem Dafoe) für ihn organisiert. Doch es ist bei weitem nicht genug, um seine Schulden zu begleichen.
So drängt Rodney Petty dazu, ihm einen Kampf bei Harlan DeGroat (Woody Harrelson) zu organisieren. Diese Fights sind besser bezahlt, doch dafür geht es dort noch härter zu als ohnehin. Weder Petty noch Rodney kehren von dem Kampf zurück und als es den Anschein hat, dass Barnes auf Grund der fehlenden Zuständigkeit die Hände gebunden sind, greift Russell mit seinem Onkel Gerald (Sam Shepard) selbst zur Waffe ...


Kritik:
Auge um Auge erzählt von einem guten Mann, der durch einen unachtsamen Moment beinahe alles verliert, was ihm wichtig war. Dafür kommt er ins Gefängnis und sieht man sich die letzte Einstellung genau an, dann hat es den Anschein, er würde es nie mehr verlassen, auch wenn ihm die Freiheit zurückgegeben wird. Von einer Ensemble-Besetzung hervorragend und eindringlich gespielt ist Scott Coopers Drama ein düsteres, hoffnungsloses und sehenswertes Porträt einer ganzen Region.

Angesiedelt im US-Bundesstaat Pennsylvania begleitet das Skript den Stahlarbeiter Russell Baze, verschlossen und zurückhaltend verkörpert von Christian Bale. Seinen Vater hat die anstrengende Arbeit im Werk krank gemacht, sein Bruder Rodney, der schon mehrere Auslandseinsätze bei der Armee hinter sich hat, will nicht ebenfalls so enden.
Aber auch wenn das Leben in der ländlichen Gegend außer der schweren körperlichen Arbeit nicht viel zu bieten hat, Russell scheint damit durchaus zufrieden, ehe er eines Abends einen Unfall verursacht und dafür ins Gefängnis muss. Wie lange er dort sitzt, deutet Auge um Auge nur an, ohne sich genau zu äußern. Es dürften ungefähr fünf Jahre sein, in denen seine Freundin Lena sich von ihm trennt und mit dem Polizisten Wesley Barnes zusammen kommt. Als er entlassen wird, hat Russell alles verloren, was ihm etwas bedeutete, mit Ausnahme seines Bruders. Der verdingt sich mit Faustkämpfen den Lebensunterhalt, anstatt mit ihm im Stahlwerk zu arbeiten, das ohnehin in Kürze geschlossen werden soll.

Filmemacher Cooper nimmt sich viel Zeit für seine Figuren und lässt die Gespräche auf natürliche Art und Weise entwickeln, anstatt sie stets voran zu treiben. Es entstehen Pausen, in denen man das Gefühl bekommt, die Charaktere würden ihre Antworten überlegen, anstatt sie auswendig gelernt vorzutragen. Auch macht er so greifbar, was sie antreibt, so dass wir selbst Rodney verstehen, der John Petty anfleht, ihm einen Kampf bei Harlan DeGroat zu organisieren, auch wenn in dessen Revier andere Regeln herrschen.
Als sein Bruder von diesem Kampf nicht zurückkehrt und die Polizei nicht in der Lage scheint, DeGroats Sumpf trockenzulegen, nimmt Russell selbst das Gewehr in die Hand. Wohin ihn die Selbstjustiz führen wird, muss ihm klar sein, doch sieht man, wie er sich Stück für Stück von allem trennen musste, was ihm wichtig war, dann wird klar, wie wenig er verlieren wird, wenn er diesen Weg verfolgt. Statt einfache Antworten zu suchen, bleibt Scott Cooper der unterschwellig rauen Atmosphäre treu und begleitet seine Figuren auf einer Reise, die nur in eine Richtung führen kann. Dabei werden Rodney, John Petty oder Lena nicht zu Menschen, die Russell enttäuschen oder im Stich lassen. Vielmehr leben sie ihr eigenes Leben, das sich von seinem immer mehr entfernt.

Der Film beginnt mit einer Szene, die Harlan DeGroat vorstellt und noch bevor Woody Harrelson etwas sagt oder tut, vibriert das Bild durch seine Aggression. Er verkörpert die gleichgültige Brutalität auf eine solch beängstigende Art und Weise, dass es in Auge um Auge keinen stärkeren Gegenpol zu Russells ruhigem Auftreten gibt. Es ist eine elektrisierende Darbietung, für die er mindestens eine Oscar-Nominierung verdient hätte. Die übrigen Darsteller stehen dem in nichts nach, allen voran Christian Bale und Casey Affleck. Sie machen das Schicksal einer Region greifbar, deren Existenz Stück für Stück wegbricht. Manche verschreiben sich den Drogen, andere versuchen, mit dem Leben zurechtzukommen, das ihnen zugeteilt wurde. Russell Baze bemüht sich, seinen guten Kern so lange wie nur irgend möglich zu bewahren. Als er alles verliert, verliert er auch sich selbst.


Fazit:
Nachdem Russell Baze aus dem Gefängnis kommt und nach Hause fährt, ist es, als erlebt er seine Stadt zum ersten Mal. Viel hat sich nicht geändert und mit den schimmernden Metropolen hat sie angesichts von einem Viertel der Bevölkerung, das unterhalb der Armutsgrenze lebt, nicht viel gemein. Mit der Ankündigung, dass das Stahlwerk, Arbeitgeber seit Generationen, geschlossen werden soll, scheint keine Besserung in Aussicht. Scott Cooper zeichnet ein kaltes Bild jener Gegend und der Menschen dort.
Seine handwerkliche Umsetzung legt das Augenmerk auf die stolzen Charaktere und ihre Entscheidungen und taucht das Geschehen in ausdrucksstarke Bilder. Sobald Harlan DeGroat die Bildfläche betritt, nimmt das Geschehen einen unheilvollen Verlauf und dank der hervorragenden Darsteller braucht Auge um Auge hierüber keine Worte verlieren. Für ein erwachsenes Publikum ist das sehr sehenswert, aber auch schwer.