Argylle [2024]

Wertung: 1.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. Februar 2024
Genre: Action / Komödie / Thriller

Originaltitel: Argylle
Laufzeit: 135 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Matthew Vaughn
Musik: Lorne Balfe
Besetzung: Bryce Dallas Howard, Sam Rockwell, Bryan Cranston, Henry Cavill, Catherine O’Hara, John Cena, Samuel L. Jackson, Dua Lipa, Ariana DeBose, Sofia Boutella, Rob Delaney, Jing Lusi, Richard E. Grant, Chip


Kurzinhalt:

Elly Conway (Bryce Dallas Howard) ist eine gefeierte Autorin. Ihre Romanreihe um den Geheimagenten Argylle (Henry Cavill), der eine finstere Verbrecherorganisation zur Strecke bringen will, umfasst bislang vier Bücher, das fünfte ist bereits geschrieben. Doch hat Elly eine Schreibblockade und weiß nicht, wie sie die Geschichte fortschreiben oder zum Abschluss bringen soll. Sehr zum Missfallen ihrer Mutter Ruth (Catherine O'Hara), die die Bücher vorab liest. Während einer Zugfahrt mit ihrer Katze Alfie (Chip) trifft Elly auf Aiden (Sam Rockwell), der ihr sagt, er sei ein Spion und Elly in großer Gefahr. Kurz darauf werden sie im Zug von Schurken angegriffen, denn Ellys Romane spiegeln, ohne dass sie dies beabsichtigt, das Spionagegeschäft allzu realistisch wider. Der Leiter des Schurkennetzwerks Division, Ritter (Bryan Cranston), setzt dabei alle Hebel in Bewegung, um Elly zu fassen, denn sie könnte den Weg zu einer Datei aufdecken, die die Division zu Fall bringen könnte …


Kritik:
Es ist in gewisser Hinsicht erstaunlich, wie wenig bei Argylle, dem neuen Film von Kingsman-Regisseur Matthew Vaughn, der nicht nur weitere Filme, sondern sogar ein geteiltes Universum vorgesehen hat, das hier in einer Szene während des Abspanns angedeutet wird, funktioniert. Es gelingt der Actionkomödie weder, eine spannende Geschichte packend zu erzählen, noch macht das Gezeigte wirklich Spaß. Eine interessante Welt um streng geheime Geheimdienste und überlebensgroße Spione wird ebenfalls nicht erschaffen. Und wer die erste Hälfte übersteht, hat das Schlimmste noch vor sich.

Dabei klingt die Story bereits so bekannt wie nichtsagend. Elly Conway führte ein beschauliches Leben, bis sie ein Unfall beim Schlittschuhlaufen aus der Bahn warf. Danach wurde sie zu einer gefeierten Bestsellerautorin. Der vierte Band ihrer Agentenreihe „Argylle“ ist gerade erschienen, der fünfte bereits fertiggestellt. Doch Elly weiß nicht, wie es weitergehen soll, sie leidet an einer Schreibblockade. Da begegnet sie eines Tages im Zug Aiden, der behauptet, ein wirklicher Spion zu sein. Schlimmer noch, er sagt, die sogenannte „Division“, die wirkliche Verbrecherorganisation, über die Elly in ihren fiktiven Thrillerbüchern schreibt, hätte es auf sie abgesehen. Denn ihre Stories sind unvorstellbar dicht an der Wahrheit und da die Division seit geraumer Zeit auf der Suche nach einer Datei ist, die ihre finsteren Machenschaften aufdecken könnte, wovon Elly im letzten Buch erzählt hat, glaubt der kompromisslos bösartige Division-Leiter Ritter, dass Elly ihn zu der Datei führen kann.

So absurd die Idee auch ist, der Kniff, den Argylle findet, Ellys „Vorhersagen“ in ihren Büchern zu erklären, kommt wenigstens unerwartet. Ebenso, auf welche Weise Regisseur Vaughn die Welt von Ellys Vorstellungskraft mit der wirklichen verschmelzen lässt. Denn der Titel gebende Superheld ihrer Romane, Argylle, ist für sie so lebendig, als sei er aus Fleisch und Blut. Die introvertierte Autorin, die ihre Abende lieber zurückgezogen mit ihrer Katze verbringt, als auszugehen, leidet unter Angststörungen und hat immer wieder Visionen ihres Helden, mit dem sie sich buchstäblich unterhalten kann. Als der Spion Aiden vor ihren Augen beginnt, Angreifer auszuschalten, die Elly schaden wollen, sieht sie nach jedem Blinzeln einmal Aiden, dann wieder Argylle, der ihr dabei noch mit Leichtigkeit zuzwinkert. Der surreale Moment entwickelt bei einem Kampf in einem fahrenden Zug durchaus eine unvorhergesehen amüsante Dynamik, doch lassen diese Visionen Elly nicht los, so dass sie Argylle bei jeder einzelnen Actionsequenz für Augenblicke an Aiden’s Stelle sieht. Nur hat dieses erfrischende Element dann bereits lange seinen Reiz verloren und die im Grunde guten Stunts gehen in den Figurwechseln vollkommen unter.

Zusammen mit Aiden macht sich Elly auf, die Datei zu suchen, die die Division zu Fall bringen könnte und folgt dabei den Hinweisen, die sie selbst in ihrem Buch gestreut hat. Dabei gelingt es Argylle, eine gewisse Chemie zwischen Elly und Aiden zu entwickeln, die aber nicht nur darunter leidet, dass Ellys zum Leben erweckte Visionen von Argylle und seinem Team das Publikum immer wieder aus dem Moment reißen, sondern auch dadurch, dass sich keine der Figuren nachvollziehbar verhält. In den in Zeitlupen (oder Zeitlupen innerhalb von Zeitlupen) eingefangenen Bewegungen bei den Kämpfen oder Schusswechseln und auch bei den teils weltfremden und doch wortwörtlich vorhersehbaren Dialogen entwickelt die Agenten-Thriller-Komödie nicht die Atmosphäre einer Hommage. Es wirkt vielmehr, als wollten die Verantwortlichen eine Persiflage auf das ganze Genre erzählen. Da hilft es auch nicht, dass die ohnehin offensichtlichen Trickeffekte im Verlauf nur noch mehr abbauen, sodass zum Ende hin keine einzige Außenaufnahme mehr echt aussieht. Von dem vollständig von der Realität entkoppelten Finale auf Kufen (oder zuvor bei einem Pirouetten-Shootout) ganz zu schweigen. Wie wenig man dabei lachen kann oder gar mitgerissen wird, ist geradezu erstaunlich. Es spielt in dem Fall auch keine Rolle, dass die vorher vorgestellten Bösewichtsgehilfen schlicht vergessen werden und im Mittelteil nichts zu tun haben. Oder dass sich alle Schurken lange mit klischeehaften Erklärungen aufhalten, anstatt den Abzug zu drücken.

Argylle mag als Komödie gedacht gewesen sein und die Idee des zum Leben erweckten Buchs im Film mag nett klingen. Doch schon der Auftakt mit Romanheld Argylle und seinem Abenteuer dauert viel zu lange und ohne sympathische Figuren oder eine mitreißende Geschichte im Hintergrund gerät Matthew Vaughns gleichermaßen optisch überfrachteter wie inhaltlich dürftiger Spionagefilm zu einer bloßen Hülle, bei der die Verantwortlichen selbst offenbar nicht wissen, was sie sein soll. Will Aiden die verängstigte Elly anleiten, dass sie so fest sie kann mit dem Fuß auf die Köpfe von am Boden liegenden Schurken eintreten soll, die Aiden soeben erschossen hat, dann soll das offenbar lustig sein – nur für wen? Es sind Momente wie diese oder eben ein Liebestanz durch bunte Rauchschwaden, bei denen man sich beinahe für die Beteiligten Bryce Dallas Howard und Sam Rockwell schämt, denen es trotz ihres Talents nicht gelingt, dass man hier Spaß haben kann. Oder will. Zu verkrampft ist alles, was sie gemeinsam erleiden müssen – und dem Publikum überdies zumuten.


Fazit:
Insbesondere beim Finale werden Elly und Aiden alle paar Minuten auf die Suche nach einem anderen Ziel entsandt, in einer Anlage der Schurken, die weder das Publikum kennt, noch sie selbst. Gleichermaßen scheint auch Matthew Vaughn nicht zu wissen, was für eine Art Film er erzählen will. Statt eine Hommage zu erschaffen, zieht er Agenten-Filme wie James Bond durch den Kakao und akzeptiert man die gruseligen Trickeffekte zu Beginn, da es sich nur um eine visualisierte Vorstellung von Ellys Roman handelt, werden die Aufnahmen im Verlauf des Films nicht besser, im Gegenteil. Seine Kingsman-Filme zeugten noch von einer handwerklichen Finesse, von der hier nichts zu sehen ist. Das Alleinstellungsmerkmal soll offenbar der Wechsel der Agentenfiguren in den jeweiligen Szenen sein, doch das Konzept hat sich nach den ersten 30 Minuten bereits selbst überlebt. Was die restliche Umsetzung anbelangt, ist das ebenso absehbar wie die Dialoge und gleichzeitig ungelenk sowie behäbig. Setzt schließlich das Finale mit dem vorgenannten Tanz ein, kann man nur fassungslos zusehen. Ob das absichtlich als Trash gedacht ist, fällt schwer zu beurteilen. Unvergleichlich ist es in jedem Fall. Nicht einmal der tollen Besetzung gelingt es, dass man hier Spaß am Zusehen findet und wer von der ersten Hälfte nicht begeistert ist, muss sich anschließend auf Einiges gefasst machen. Argylle ist ein Film, der trotz des Potentials und der Beteiligten den wenigen Unterhaltungswert, den der Auftakt bietet, im Nu verspielt. Eine der furchtbarsten und teuersten Produktionen großer Hollywoodstudios seit langem.