Edgar Rice Burroughs: "Tarzan bei den Affen" [1914]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Mai 2008
Autor: Egar Rice Burroughs

Genre: Unterhaltung / Action

Originaltitel: Tarzan of the Apes
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 288 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1914
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1924
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-451-52423-3


Kurzinhalt:
Nach einer Meuterei auf ihrem Schiff strandet das englische Adelspaar John und Alice Clayton – Lord und Lady Greystoke – im Strand des afrikanischen Dschungels. Wenig später kommt ihr Sohn zur Welt; ein Jahr später ist das Baby auf sich allein gestellt und wird von der Äffin Kala adoptiert, die den Jungen Tarzan tauft, was in der Affensprache "Weißhaut" heißt, und ihn im Clan des Affenbullen Kerchak aufwachsen lässt.
Als junger Erwachsener erweist sich Tarzan als hervorragender Jäger und intelligenter Dschungelbewohner. Er spaltet sich von seinem Clan ab, als sein Interesse an jener Hütte geweckt wird, die sein leiblicher Vater vor 20 Jahren erbaute. Darin findet er Bücher und viele Hinweise, die er in Bezug auf sich allerdings nicht zu deuten vermag.
Da strandet eine Gruppe am Strand, darunter William Cecil Clayton, an sich Tarzans Cousin, und die junge Jane Porter, in die sich der schüchterne Tarzan auf den ersten Blick verliebt. Er beschützt die Gruppe, insbesondere Jane, aus der Deckung der Wälder – doch das ist erst der Beginn seines größten Abenteuers, das ihn auch aus seiner Heimat reißen wird ...


Kritik:
Zum ersten Mal erblickte die Figur des Tarzan 1912 das Licht der Welt, als der erste Teil des Romans Tarzan of the Apes in einem amerikanischen Pulp-Magazin veröffentlicht wurde; erst zwei Jahre später fasste der 1875 geborene Autor Edgar Rice Burroughs die Geschichten um seinen Dschungel-Übermenschen im ersten Roman zusammen. Zu dieser Zeit waren bereits die Geschichten der Fortsetzung in den Pulp-Magazinen zu finden, die allerdings erst ein Jahr später in Tarzans Rückkehr [1915] als Roman veröffentlicht wurden.
Insgesamt kämpfte und hangelte sich der Held durch mehr als zwei Dutzend Fortsetzungen, die Burroughs bis in die 1940er Jahre hinein veröffentlichte. Inwiefern sich die Weitererzählungen der Geschichte für Interessenten lohnen, muss jeder für sich entscheiden; mit Tarzan bei den Affen schuf der Autor jedoch zweifelsohne eine Ikone des Abenteuergenres, die auch knapp 100 Jahre nach ihrem ersten Auftreten begeisterte Leser findet. Gleichwohl der Stoff, der nach Ablaufen des Urheberrechts übrigens frei verfügbar ist, doch die Spuren seiner Zeit trägt. Und das ist sowohl positiv wie auch negativ zu verstehen.

So spiegelt Burroughs in seinem Erstlingswerk die Gesellschaft jener Epoche wider, in der die Frauen dazu auserkoren waren, gerettet zu werden und dem Helden das Leben schwer zu machen, in der ein Held ohne Allüren oder Schwächen auskommen konnte und trotz aller Widrigkeiten alles zum Guten wandte, auch wenn es für ihn zum Nachteil war. Auch wenn Burroughs dabei darauf verzichtet, afrikanische oder afroamerikanische Figuren in den Mittelpunkt zu stellen, und man selten rassistische Kommentare der Überlegenheit der Weißen gegenüber den Schwarzen zu lesen bekommt, wird man das Gefühl nicht los, dass die schwarzen Wilden ein Klischee schüren, für das Edgar Rice Burroughs fortan stark kritisiert wurde.
Davon abgesehen finden sich in Tarzan bei den Affen eine ganze Menge Zufälle wider, die in der Fortsetzung an Häufigkeit und Absurdität gar noch zu nehmen (für diejenigen, die am zweiten Teil denn interessiert sind). So scheint es, als würde jede Schiffsbesatzung im Roman meutern, die kostbare Fracht und adeligen Gäste immer am selben Strandabschnitt absetzen und letztlich immer unter dem neuen Kommando bedeutend schlechter dran sind, als unter dem alten. Auch kommt der Held immer rechtzeitig, um die Angebetete aus irgendeiner Bredouille zu befreien, beziehungsweise immer zu spät, um die Geschichte des Romans merklich abzukürzen. Worauf die Erzählung hinausläuft ist früh offensichtlich und überraschend lediglich darin, dass der Roman etwa 80 Seiten länger geraten ist, als er hätte sein müssen. Man wird das Gefühl nicht los, dass jedes Mal, wenn Tarzans Zukunft gesichert scheint dem Autor ein neuer Grund einfällt, wie ihm das Ziel wieder entrissen wird, so dass er erneut daraufhin arbeiten muss.
Da dies für Romane dieser Art nicht ungewöhnlich ist, mag man es dem Autor auch nicht übel nehmen – doch dass das Ende den Leser ohne eine richtige Auflösung zurück lässt, ist ärgerlich. Da mag er die Geschichte um den Lord Greystoke im zweiten Teil weiterführen wie ihm beliebt, es wäre problemlos möglich gewesen, sie hier soweit zum Abschluss zu bringen und dennoch eine Fortsetzung zu verfassen. Nur entspräche dies nicht dem Stil jener Fortsetzungsgeschichten der Pulp-Magazine, denen Tarzan ja entsprungen ist.

Wie es Edgar Rice Burroughs gelingt, seine Hauptfigur zu etablieren, ihn als Abbild der Götter vorzustellen, der mit Kraft und Verstand nicht nur den Dschungel besiegt, sondern sich auch die elementarsten Grundzüge des modernen Zusammenlebens selbst aneignet, ist durchaus beeindruckend. Auch wenn sich dabei seine Ausdrucksweise sehr oft wiederholt.
So vereint er in Tarzan selbst so viele Charakterelemente, dass sich kaum jemand genaue Züge dieses charmanten wie physisch eindrucksvollen Urwaldbewohners vorzustellen, dessen hünenhaftes Auftreten mit seiner Schnelligkeit, seinem messerscharfen Verstand und seiner unbändigen Kraft so viele Superlative erfüllt, dass er im Buch selbst bereits als Super-Mann bezeichnet wird. Sein Werdegang wird eindrucksvoll geschildert, seine Figur von der Krippe an geformt und wie ein Diamant geschliffen. Immer wieder verpasst ihm Burroughs neue Charaktereigenschaften, ohne dabei aber andere Züge zurückzustufen. Er ist ein Held ohne Makel, der zwar beeindruckt, den zu studieren auf Grund seiner fehlenden Schattenseiten aber nach einiger Zeit langweilig wird. Interesse weckt der Roman dabei vor allem, wenn Tarzan neuen Situationen gegenüber steht, sein Verhalten innerhalb des Affenstammes hingegen interessiert nur am Rande und scheint zudem sehr stark ausgeprägt.
An seiner Seite kann sich Jane Porter dementsprechend kaum behaupten, zumal sie vieles an Sympathien im letzten Drittel des Romans verliert, als sich urplötzlich bei ihr Zweifel einstellen, ob der wilde Tarzan ihrem Stand entsprechen kann. All ihre Leidenschaft, ihr innerer Antrieb scheint von einem Moment auf den anderen versiegt – diese Sprunghaftigkeit ist nicht nur irritierend, sondern auch klischeehaft und scheint einzig und allein dem Sinn und Zweck zu dienen, die Geschichte in die Länge zu ziehen.
Die übrigen Figuren sind ebenso einfach strukturiert, entwickeln sich im Laufe des Romans aber kaum weiter. Der interessante Paul D'Arnot kommt leider zu kurz und Tarzans Cousin William Cecil Clayton, der sich angesichts des übermenschlichen Tarzan um seine Angebetete betrogen fühlt, fristet ebenso nur ein Schattendasein, obgleich man sich ein (intellektuelles) Aufeinandertreffen zwischen ihm und Tarzan als Höhepunkt des Finales eher hätte vorstellen können. Es hätte zumindest Jane Porters Entscheidung erklärt.
Insofern besäßen die Figuren sichtlich mehr Potential, doch werden sie alle einem unfehlbaren und sich ständig opfernden Tarzan unterworfen, dem sie weder an Heldentaten, noch an Intellekt gewachsen sind.

Der größte Pluspunkt des Romans ist ohne Zweifel Edgar Rice Burroughs Erzählweise, die derart rasant geraten ist, dass die Romanseiten nur so an einem vorbeifliegen. Gerade die zahlreichen Actionmomente werden so detailreich und doch flott geschildert, dass man die Spannung beinahe spüren kann. Auch zeichnet der Autor – der übrigens selbst nie einen Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt hat – ein so buntes, schillerndes und lebensnahes Gefühl des afrikanischen Dschungels, dass man sich in kürzester Zeit in den Beschreibungen der Urwälder, der Geographie und der Geräusche des Waldes verliert.
Kein Wunder, dass der Roman genau dann an Atmosphäre verliert, wenn die Geschichte den Urwald verlässt, weswegen auch das Finale in einer für Tarzan an sich ungewohnten Umgebung, weit weniger greifbar und vor allen Dingen viel zu kurz erscheint. Spürt man den Puls des Dschungellebens in großen Teilen des Buches förmlich und kann Geräusche, Gerüche und Farben ebenso erkennen, wie der Autor sie beschreibt, wirkt der letzte Akt, wirken die letzten 40 Seiten, im Vergleich farblos und unwirklich.

Sprachlich hält Tarzan bei den Affen für Kenner der englischen Sprache keine wirklichen Überraschungen bereit, auch wenn die Formulierungen mitunter hölzern klingen – und das selbst für die Verhältnisse der englischen Literatur seinerzeit. Unausgewogen scheint der Gebrauch von ausschweifenden Formulierungen und ganz normalen Satzkonstruktionen.
Insbesondere der Dialekt der Haushälterin der Familie Porter, Esmeralda, wirkt arg übertrieben und gestelzt. Um ihre Dialoge vernünftig lesen zu können, muss man ihre Sätze beinahe phonetisch aussprechen – und selbst dann benötigt man einiges an Vorstellungsvermögen.
Grundsätzlich sorgen diese Schwankungen bei den Formulierungen zwar für einen etwas stockenden Lesefluss, nichtsdestotrotz liest sich Tarzan of the Apes sehr schnell und kann ohne weiteres auch für sprachlich weniger gut bewanderte Leser empfohlen werden.

Was am Ende bleibt ist ein Abenteuerroman, wie man ihn seither zwar oft kopiert gelesen hat, doch auf Grund der sozialen Veränderungen seit 1914 nie wieder so unbeschwert, so klar strukturiert und so unverkrampft. Dies ist für Fans des Genres durchaus interessant, und man sollte sich ein müdes Lächeln angesichts vieler Klischees und bekannter Elemente schon deswegen ersparen, weil Edgar Rice Burroughs mit Tarzan bei den Affen den Grundstein für jene Klischees legte – er war sozusagen vor ihnen und sollte ihnen an sich nicht unterworfen werden.


Fazit:
Es vergeht kein Jahr, ohne dass auf irgendeinem Sender eine der vielen Verfilmungen des Tarzan-Stoffes zu sehen sind. Kaum eine wird der Vorlage wirklich gerecht, die einen Helden vorstellt, der von kaum einem realen Menschen vom Erscheinungsbild her allein verkörpert werden kann. So vielfältig, so unvereinbar sind die Charakterzüge und die physischen Elemente von Tarzan, so fantastisch seine Person allein. Er war einer der ersten Superhelden, ein Mann ohne Makel, dessen Welt in Gut und Böse unterteilt war und der ständige Opfer erbringt, um die Frau, die er liebt, glücklich machen zu können. Doch so unbeirrbar sein Charakter, so unwirklich seine Heldenhaftigkeit, so eintönig wird die Figur nach einer gewissen Zeit. Solange Tarzan Neues entdecken kann, sich weiterbildet und lernt, mag dieses Gefühl noch nicht spürbar sein. Doch je näher er seinem Ziel kommt, um so fahler scheint er, um so weniger greifbar.
Dies mag die Gefahr der meisten Superhelden sein, weswegen sie in heutiger Zeit auch mit viel mehr Charakterschwächen entwickelt werden. Diese sind es, die sie menschlich und interessant werden lassen. Etwas, das in den Zeiten von Edgar Rice Burroughs nicht wichtig war. Er schuf mit Tarzan bei den Affen den Prototyp eines Abenteurromans und einer Abenteuerfigur, die oft kopiert, doch meiner Meinung nach selten so bestechend erreicht wurde. Tarzan bei seiner Entwicklung zuzusehen, mitzuerleben, wie er sich vom einfachen Menschen unter Affen wandelt, um seine Bestimmung zu erfüllen, wie das Aufeinanderprallen seiner Welt mit der von Jane Porter und ihrem Geleit verarbeitet, ist interessant und durchaus spannend. Insbesondere dank der temporeichen Erzählung und der bilderreichen Sprache, die den Dschungel vor dem inneren Auge des Lesers entstehen lässt.
Doch offenbart der Roman auch viele Schwächen, eben bei den Figuren, bei den sich wiederholenden Formulierungen oder der auf Zufälle getrimmten Geschichte. Am störendsten empfand ich allerdings den Schluss, der eindeutig auf eine Fortsetzung ausgelegt ist. Doch da diese noch mehr Schwächen offenbaren soll, reicht mir das Wissen, dass es früher oder später enden wird, wie alle Abenteuergeschichten. Und die Gewissheit, mit Tarzan of the Apes einen Klassiker gelesen zu haben, der zwar in den vergangenen 95 Jahren an Charme verloren haben mag – aber insbesondere durch die stilistischen Einschränkungen der Moderne auch wieder an Charme gewonnen hat.