Philip Pullman: "Once Upon a Time in the North" [2008]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 01. Mai 2009
Autor: Philip PullmanGenre: Fantasy
Originaltitel: Once Upon a Time in the North
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Gebundene Ausgabe
Länge: 96 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 2008
Erstveröffentlichung in Deutschland: noch nicht erschienen
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-375-84510-9
Kurzinhalt:
Auf seinem Weg nach wo immer sein Ballon ihn auch hintragen mag, landet der junge Texaner Lee Scoresby in der auf einer Insel gelegenen Hafenstadt Novy Odense. Doch Arbeit scheint es für ihn dort keine zu geben. Währenddessen wartet ein Frachterkapitän voller Verzweiflung auf die Freigabe seines Schiffes. Dass der Mann und seine Crew nicht auslaufen dürfen, entpuppt sich jedoch als politische Entscheidung.
Bald schon stehen in Novy Odense Bürgermeisterwahlen an und der aussichtsreichste Kandidat, Poliakov, der seine Kampagne als Hetzplattform gegen die majestätischen und Furcht einflößenden, sprechenden Bären nutzt, ist in Wahrheit der Industrie sehr zugetan, die sich in Novy Odense ein großes Vorkommen an Bodenschätzen verspricht.
So schlägt sich Lee auf die Seite des Kapitäns und findet in dem sprechenden Eisbären Iorek Byrnison einen Verbündeten. Doch ihnen steht nicht nur die Sicherheitstruppe Poliakovs gegenüber, sondern auch die Stadtbevölkerung, die sich im Kampf gegen die Bären zusammenschließt ...
Kritik:
Fünf Jahre mussten sich die Fans von Der goldene Kompass [1995] gedulden, ehe nach der veröffentlichten Kurzgeschichte Lyras Oxford [2003] ein weiteres Kapitel aus dem Universum von Lyra Listenreich präsentiert wurde. Der Begleitband zur Trilogie, The Book of Dust, den Autor Philip Pullman einst ankündigte, und der ebenfalls Kurzgeschichten und Hintergrundinformationen sowie weiterführende Erläuterungen zum sonderbaren Universum Lyras beinhalten sollte, ist indes noch nicht erschienen.
Mit Once Upon a Time in the North erzählt der Autor von der ersten Begegnung des texanischen Aeronauten Lee Scoresby und dem Bären Iorek Byrnison, die 35 Jahre vor den Ereignissen der Romantrilogie stattfindet.
Die Geschichte selbst fördert dabei erneut Details zum Werdegang des Aeronauten zu Tage, und beschreibt eine Zeit in der Entwicklung jener Welt, in der sich viele Parallelen zu unserer eignen finden lassen. So werden die Geschicke der Bevölkerung von großen Industrieimperien gelenkt, die mit Aussicht auf Profit nicht nur alle Regeln und Gesetze brechen, sondern sich ihre eigenen erkaufen. Die Bären, deren einst erhabene Zivilisation seit Generationen im Niedergang begriffen ist, werden ausgegrenzt und gefürchtet – und eine Hetzkampagne gegen sie als Tarnung für ein weitaus größeres Vorhaben missbraucht.
Verweise an die heutigen, weltpolitischen Situationen findet man somit zuhauf und man wird auch das Gefühl nicht los, dass Autor Pullman mit seiner Kritik ein deutlich erwachseneres Publikum ansprechen möchte, als noch mit Lyras Oxford. Nicht nur, dass die Novelle drei Mal so viele Seiten in Anspruch nimmt, durch den kleineren Zeilenabstand wird auch schnell klar, dass Once Upon a Time in the North bedeutend länger geraten ist, als die erste Erweiterung des Der goldene Kompass-Universums. Dies sieht man nicht nur daran, dass sich der Autor die Zeit nimmt, die Landschaften, die kommunalen Zusammenhänge und die wirtschaftliche Situation genauer zu beschreiben, sondern auch die Charakterzeichnungen sind facettenreicher ausgefallen. Zugegebenermaßen erscheint Scoresby genau wie in der Trilogie, eine Entwicklung scheint der Texaner also kaum mehr durchgemacht zu haben, auch wenn mehr als drei Jahrzehnte dazwischen liegen. Doch versteht man hier auch die Beziehung zu seinem Dæmon Hester besser, die noch nicht ganz so ruppig geraten ist, wie in seinem späteren Lebensabschnitt.
Die Figuren scheinen erneut auf den Punkt getroffen, samt ihren Formulierungen und Eigenarten. Dass man zudem die Möglichkeit eröffnet bekommt, manche Markenzeichen von bekannten Charakteren hier etabliert zu bekommen, ist ein besonderes Bonbon für Fans. Leider bleibt Iorek Byrnison wieder stark im Hintergrund und man kann nur hoffen, dass sich Pullman in seinem angekündigten Begleitband die Zeit für den undurchsichtigen und doch faszinierenden Charakter nimmt.
Abgerundet mit Auszügen aus Büchern aus Lyras Welt, einem Zeitungsausschnitt, Briefen Lyras und einem Zertifikat für eine Dissertation erzeugt Philip Pullman erneut eine Atmosphäre, die man sich überzeugender nicht vorstellen könnte. Es scheint wieder, als würde man durch ein Schlüsselloch in eine Welt blicken, von der man immer nur einen winzigen Ausschnitt zu sehen bekommt. Dass dort noch mehr ist, ist offensichtlich, nur kann man Vieles im Moment erst erahnen.
Dabei stellt der Autor in Aussicht, was mit der bekannten Figur Lyra wohl in Zukunft passieren wird. Ob dem so ist werden Leser allerdings erst erfahren, wenn Pullman dem Universum erneut einen Besuch abstattet. Mit Once Upon a Time in the North macht er auf jeden Fall wieder Lust darauf.
Fazit:
Es mag sein, dass der Eindruck durch solche Besonderheiten wie innerhalb der Geschichte abgedruckten Buchseiten oder den Zeitungsausschnitt verstärkt wird, doch fühlte ich mich bei Once Upon a Time in the North häufig so, als würde ich ein altes Photoalbum durchblättern. Was man liest, kommt einem bekannt vor und weckt Erinnerungen an schöne und auch schmerzvolle Zeiten. Doch ist man dankbar um eben jene Erinnerungen.
Die Geschichte liefert interessante Details und Hintergrundinformationen zu bekannten Figuren, die zwar nicht zwingend notwendig sind, aber Fans freuen werden. Viel wichtiger ist die Aussage, die Autor Philip Pullman trifft, dass man bei Ungerechtigkeiten nicht wegsehen sollte, sondern lieber ein Rückschlag riskiert, als stumm zuzusehen. Zusammen mit den treffend beschriebenen Charakteren und der durchweg überzeugenden Atmosphäre der Novelle ergibt dies ein kurzweiliges Lesevergnügen, das zumindest die Wartezeit auf den nächsten Besuch in Lyras Welt verkürzt.
Wer seine Sammlung um Der goldene Kompass komplettieren will, ist hier richtig. Wer nach der Trilogie lieber damit abgeschlossen hätte, kann auch diese Erweiterung überspringen.