Ian Fleming: "Casino Royale" [1953]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 17. Oktober 2006
Autor: Ian FlemingGenre: Thriller
Originaltitel: Casino Royale
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 183 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 1953
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1960
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-14-200202-X
Kurzinhalt:
Als Doppel-Null-Agent besitzt James Bond die Lizenz zum Töten, und er scheut auch nicht davor zurück, diese Lizenz einzusetzen, auch wenn der Auftrag, der ihm von seinem Vorgesetzten M zugeteilt wird, so gefährlich gar nicht scheint.
Der russische Agent 'Le Chiffre' scheint, einen großen Betrag des russischen Geheimdiensts "verloren" zu haben und beabsichtigt nun, diesen Verlust durch ein hochkarätiges Spiel Bakkarat im Casino Royale wieder auszugleichen. Bonds Mission ist einfach, er soll Le Chiffre besiegen und dessen Vorgesetzte damit zwingen, sich ihres Schützlings zu entledigen. Damit könnte der Geheimdienst Ihrer Majestät einerseits dem russischen Geheimdienst ein Schnippchen schlagen und gleichzeitig einen ihrer Agenten ausschalten.
Doch auch wenn das Glück Bond wohl gesonnen scheint, Le Chiffre spielt nicht nach den Regeln – und auch die Bond zugeteilte, weibliche Agentin, Vesper Lynd, wird in die tödlichen Folgen des Bakkarat-Spiels verwickelt ...
Kritik:
Am 28. Mai 1908 in London geboren, stand dem Sohn eines Parlamentariers eine sehr luxuriöse Welt offen, in der sich der in Sprachen durchaus versierte Ian Fleming auch schnell zurecht fand. Nach einer gehobenen Schulausbildung zog es Fleming 1939 in den Militärdienst, bei dem er als Assistent des Marine-Befehlshabers einen tiefen Einblick in die Welt der Spionage bekam und auch einige Mission selbst plante, die allerdings nicht umgesetzt wurden.
Doch die Karriere des späteren Erfolgsautors sollte nach einem steilen Aufstieg und besonderen Verantwortungen im Militär einen anderen Weg nehmen, und als 1953 Flemings erster James Bond-Roman veröffentlicht wurde, war es um die Zukunft des Autors bestimmt. Es folgten zwölf weitere Bücher und neun Kurzgeschichten mit dem beliebten, skrupellosen Agenten im Geheimdiens Ihrer Majestät. Kein Wunder wird leicht vergessen, dass Fleming mit seinem Kinderbuch auch die Vorlage für den erfolgreichen Musical-Film Tschitti Tschitti Bäng Bäng [1968] lieferte. Nachdem er 1961 die Filmrechte an seinen Bond-Büchern verkaufte, musste er leider mitansehen, dass seine Favoriten für die Hauptbesetzung des ersten Films, James Bond jagt Dr. No [1962], nicht übernommen wurden, auch wenn Roger Moore später in den Anzug des Superagenten schlüpfen sollte und Christopher Lee tatsächlich einen Bösewicht in der Filmreihe mimen würde. Liebesgrüße aus Moskau [1963] war der letzte Film, den Fleming veröffentlicht sah, ehe er am 12. August 1964 verstarb.
Nun, immerhin 53 Jahre nach dem Erscheinen des Romans, wird James Bonds erstes Abenteuer Casino Royale in die Kinos kommen, auch wenn sich der Film wie bislang nur grob an der Vorlage orientiert. Dabei erkennt man in Flemings Büchern nur grobe Züge des bekannten Agenten wieder – leider.
Die Story erscheint dabei durchaus interessant, und die Idee, dass Bond über einen Routine-Auftrag, der außer Kontrolle gerät auf eine viel größere Organisation aufmerksam gemacht wird, zieht den Leser in den Bann – doch wer damit rechnet, dass nach den ersten 120 Seiten, wenn endlich klar wird, wer hinter was und wieso steckt, die Geschichte in Fahrt kommen würde, der irrt bedauerlicherweise.
Hier teilt Casino Royale jenen Aspekt mit vielen Büchern dieser Zeit, denen es leider nicht gelingt, eine konstante Spannung über die gesamte Länge des Romans aufzubauen, sondern stattdessen schubweise einzelne Höhepunkte zu bieten, die aber letztlich antiklimaktisch aufgelöst werden. So konzentriert sich das letzte Drittel des Agenten-Erstlings auf eine Nebenhandlung, die zwar zuvor angerissen wurde, aber mit eben jener Richtung, in die man hoffen würde, dass sich das Buch entwickelt, nichts zu tun hat. Stattdessen vertröstet Fleming seine Leser damit, dass sich Bond in Zukunft jener Bedrohung widmen wird, die ihm eigentlich hier das Leben rettete.
Mit faszinierenden Elementen gespickt bietet die Geschichte gute Ansätze, ohne sie allerdings voll auszunutzen, einzig zwei Szenen können durchweg überzeugen – einerseits das Bakkarat-Spiel zwischen Le Chiffre und James Bond, andererseits eine durchaus harte Folterszene, die einige Vermutungen über den "Super"-Agenten in ein anderes Licht rücken. Es ist allerdings die mangelnde Dramaturgie, die Casino Royale viele Punkte und auch Lesespaß kosten – insbesondere das letzte Drittel des Buches mäandriert unnötig lange, ohne aber eine wirkliche Überraschung zu bieten.
Auch die verschiedenen Figuren offenbaren eben die Schwächen, die man aus vielen Unterhaltungsromanen jener Zeit gewohnt ist, gleichwohl sich Fleming bemüht, seinen Charakteren immerhin eine Motivation für ihr Verhalten zuzuschreiben.
So erfährt man zwar einige Details über Bonds Werdegang, ohne aber seine gesamte Entwicklung beschrieben zu kommen, wohingegen über Vesper Lynd erst gegen Ende des Romans einige Einzelheiten bekannt werden, die aber aus heutiger Sicht vielen Klischees entsprechen.
Die Entwicklung bei Bond selbst vollzieht sich allerdings derart ruckartig und mitunter nicht nachvollziehbar, dass man als Leser von seinem folgenden Verhalten beinahe abgeschreckt wird und er die Sympathien eher verliert, als gewinnt. Hier darf man gespannt hoffen, ob sich dies in den kommenden Romanen geben, oder ob Fleming seinen Protagonisten derart eindimensional belassen wird.
Sprachlich gestaltet sich Casino Royale zwar nicht schwer verständlich, offenbart auf Grund der Zeit, in der der Roman entstand allerdings einige Formulierungen und Ausdrücke, die im heutigen englischen Sprachgebrauch kaum noch zu finden sind. Außerdem sollten sich Interessenten der Originallektüre ein wenig im Agentengenre auskennen, um bei gewissen Fachwörtern und Beschreibungen bestimmter Gegenstände nicht ins Straucheln zu kommen – überraschend einfach hingegen ist die Erklärung der Spielregeln des Kartenspiels Bakkarat gelungen.
Der Eindruck, der am Ende bleibt, ist eher gemischt, auch wenn man immer bedenken sollte, zu welcher Zeit und für welche Leserschaft der erste Roman des Agenten damals entstand. Vor dem politischen Hintergrund, einer Welt hin und her gerissen zwischen den Nachwirkungen des zweiten Weltkriegs, einem gerade zu Ende gehenden Koreakrieg und der sich abzeichnenden Konfrontation zwischen Ost und West, mag die Kaltherzigkeit des Protagonisten noch verständlich sein, und auch die schlichte, faktische Erkenntnis, mit der Fleming seinen Helden in den letzten Seiten mit dem Geschehen abschließen lässt mag daher rühren, doch scheint dies nicht ganz zum restlichen Bild des verletzbaren und durchaus unterlegenen Doppel-Null-Agenten zu passen.
Die Story selbst ist zwar interessant, scheint aber nur zur Hälfte erzählt und der 60-Seiten dauernde Epilog wirkt zu lang und langgezogen, als dass man als Leser tatsächlich noch Interesse zeigen könnte. Das wahre Highlight vielmehr ist die Bakkarat-Partie, bei der in der Tat Agentenstimmung aufkommt. Was Fleming letztlich aus diesem Potential entwickelt, bleibt abzuwarten, wer aber mit den Empfindungen und Erinnerungen an die Filmreihe den ersten Roman in die Hand nimmt, wird sicherlich enttäuscht sein.
Fazit:
Das größte Problem für einen Superhelden ist zweifelsohne, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. In über vierzig Jahren und durch immerhin beinahe zwei Dutzend Filme setzten die Macher der James Bond-Reihe die Messlatte sehr, sehr hoch an. So hoch in der Tat, dass sich selbst die Romanvorlage damit messen muss. Dass von Ian Flemings vor einem halben Jahrhundert konzipierten Protagonisten in der Leinwandumsetzung nicht viel übrig geblieben ist, verwundert nicht, auch von Sean Connerys Verkörperung des Agenten 007 ist so viele Jahre später nicht mehr viel zu sehen.
Und doch beinhaltet Casino Royale viele Elemente, die sich auch später in den Filmen wiederfinden: Exotische Schauplätze, schöne Frauen und nicht zu vergessen der Hauch der Gefahr, das Spionage-Element, das unverwechselbar zur Reihe gehört. Doch während in den 1950er Jahren der Prototyp des Macho-Agenten mit seiner kühlen, kalkulierenden Art erstrebenswert und im politischen Umfeld durchaus notwendig erschienen haben mag, wirkt jener Typus Held heutzutage zu eindimensional, zu glatt und unnahbar, als dass man sich damit identifizieren könnte.
Für den Einstiegsroman bedeutet das, dass James Bond derzeit noch viel von seinem Charme und Charisma fehlt, er vielmehr wie ein Roboter im Dienst Ihrer Majestät wirkt, ohne eigene Persönlichkeit. Mag sein, dass sich das in den kommenden Romanen noch ändern wird, Casino Royale allerdings besitzt neben einigen wirklich gelungenen Szenen mit dem eher flachen Protagonisten und einem ewig langen, ohne weitere Höhepunkte versehenen Epilog, der immerhin ein Drittel des Buches ausmacht, eben jene Schwachpunkte, die viele solcher Bücher aus jener Zeit prägen.
Damals mag eben dies die Leserschaft angezogen haben, heute wohnt man dem Ganzen eher unbeteiligt bei.