Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings [2021]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. August 2021
Genre: Action / Fantasy

Originaltitel: Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings
Laufzeit: 132 min.
Produktionsland: USA / Australien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Destin Daniel Cretton
Musik: Joel P. West
Besetzung: Simu Liu, Awkwafina, Meng’er Zhang, Tony Leung, Fala Chen, Florian Munteanu, Michelle Yeoh, Benedict Wong, Ben Kingsley, Jade Xu, Ronny Chieng, Dallas Liu, Jodi Long, Andy Le


Kurzinhalt:

Die Legende besagt, dass die Zehn Ringe vor Tausend Jahren in Wenwus (Tony Leung) Besitz kamen. Sie verleihen ihm beinahe unbegrenzte Kraft und machten ihn unsterblich. All das gab er auf, als er Jiang Li (Fala Chen) kennenlernte und sich verliebte. Doch seine Vergangenheit, in der er mit unerbittlicher Härte und Grausamkeit seine Macht sicherte, holte Wenwu ein und so blieb er allein mit seinem Sohn Shang-Chi (Simu Liu) und seiner Tochter Xialing (Meng’er Zhang) zurück. Jahre später arbeitet Shang-Chi im Parkservice eines Hotels in San Francisco zusammen mit seiner engen Freundin Katy (Awkwafina), als sie in einem Bus von einer finsteren Gruppe um Razor Fist (Florian Munteanu) angegriffen werden. Entsandt von Shang-Chis Vater, ist dessen Ziel ein Amulett, das Shang-Chi von seiner Mutter geerbt hat. Da Xialing ebenfalls ein solches Andenken erhalten hat, reist Shang-Chi mit Katy nach Macau, um seine Schwester zu warnen. Auf seinem Weg, seinen Vater aufzuhalten, begibt sich Shang-Chi unweigerlich auf den Pfad, der für ihn bestimmt ist …


Kritik:
Mit Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings startet das Marvel Cinematic Universe, kurz MCU, in seine nächste Phase. Wenn Destin Daniel Crettons Adaption der Comicvorlage ein Hinweis ist, in welche Richtung sich das bereits viele Filme umspannende Franchise entwickeln wird, werden vermutlich ebenso viele Fans aufatmen wie überrascht die Stirn in Falten legen. Denn während die Verantwortlichen ihrer Linie wie oftmals zuvor treu bleiben, dass im Herzen des Spektakels, das auf der Leinwand zelebriert wird, eine zutiefst menschliche Geschichte schlummert, bewegt diese sich spürbar weg vom Science Fiction-Charakter, hin zum magischen Flair eines Doctor Strange [2016]. Das muss nichts Schlechtes sein.

Da dies der erste Auftritt der neuen Figuren um Shang-Chi ist, muss sich der Filmemacher entsprechend viel Zeit nehmen, die Mythologie um ihn und die Titel gebenden zehn Ringe zu etablieren. Dies beginnt mit einem ausführlichen Prolog, erzählt von Shang-Chis Mutter Jiang Li, die seinen Vater Wenwu kennenlernte, als dieser bereits eine lange Herrschaft hinter sich hatte. Die Legende besagt, Wenwu kam vor 1.000 Jahren in den Besitz von zehn Ringen, die er am Unterarm trägt und die ihn nicht nur unsterblich machen, sondern ihm unbegrenzte Macht verleihen. Nachdem er mit seiner Armee alles erobert hatte, begab er sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen Ort Ta Lo, an dem es Magie und magische Kreaturen geben soll. Jiang Li stammt aus einem Dorf in Ta Lo, das sie verließ, als sie und Wenwu sich verliebten und so auch sein Verlangen, Ta Lo zu finden, gestillt wurde. Bis Jiang Li ihm genommen wurde.
So beschreibt Regisseur Cretton, selbst wenn sich Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings um Shang-Chi dreht, im Kern doch Wenwus Geschichte. In der Rolle des geläuterten Schreckensherrschers, der als liebender Ehemann und Vater nach einem Verlust wieder in die Dunkelheit fällt, ist Tony Leung fantastisch besetzt. Er bringt eine Melancholie und eine facettenreiche Tragik zu einer Rolle, die ansonsten leicht unterschätzt würde.

Immer wieder erzählt der Film in Rückblicken aus verschiedenen Blickwinkeln, sei es Shang-Chis, seiner Schwester Xialings oder eben Wenwus, wie die Familie nach dem Tod der Mutter zerfallen ist. Wie Wenwu seinen erst siebenjährigen Sohn zu einem Krieger ausbilden ließ, wie seine Schwester auf sich gestellt war – und wie Wenwu einen neuen Sinn in seinem Leben fand. Filmemacher Cretton etabliert diese Figuren und auch ihre schwierigen Beziehungen untereinander, so dass nicht nur verständlich wird, weshalb sie tun, was sie tun, sondern dass man durchaus mit ihnen mitfühlt. Gleichzeitig muss Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings aber auch eine sehr komplexe und detailreiche neue Welt vorstellen mit magischen Wesen, alten Feinden und vielem mehr. Das gelingt über weite Strecken sehr gut, es führt nur dazu, dass jedes Mal, wenn die Charaktere ihrem Ziel ein großes Stück näher kommen, ihnen eine Figur erst erklären muss, wie der nächste Abschnitt des Weges dahin aussieht und weshalb dem so ist. Sei es Wenwus Erklärung, oder später die von der großartigen Michelle Yeoh verkörperte Schwester Jiang Lis. So füllt sich diese neue Welt zwar schnell mit Leben, es dürfte für diejenigen, die mit der Vorlage nicht vertraut sind, aber viel zu verstehen sein.

Dem versuchen die Verantwortlichen zwar mit zahlreichen Actionhighlights entgegenzuwirken, doch lassen sich diese in zwei Kategorien unterteilen. So gibt es einige, die ein hervorragendes Tempo entwickeln und durch den Kung Fu-geprägten Kampfstil der Figuren immens mitreißen. Bereits der erste Kampf zwischen Wenwu und Jiang Li erinnert hinsichtlich der Dynamik und Bewegungen, der kleinen Berührungen und Zeitlupen, in denen die Blicke der Figuren betont werden, mehr an einen Tanz, denn eine Auseinandersetzung, ganz so, wie es dem chinesischen Filmemacher John Woo oft gelungen ist. Diese Interpretation der Kampfszenen findet sich mehrmals wieder, so dass die Wut in einem Kampf zwischen Shang-Chi und Xialing förmlich zu greifen ist. Die Szenen sind mit einer Anmut und mit so fliegenden Bewegungen umgesetzt, dass es nicht nur mitreißt, sie besitzen eine geradezu einnehmende Ästhetik.
Auf der anderen Seite stehen Actionszenen, die im Vergleich dazu geradezu plump und uninspiriert erscheinen. Sei es der Ausbruch aus Wenwus Festung mit einem hochmotorisierten Wagen oder die Fahrt eben dieses Wagens durch einen magischen Wald. Auch das Finale zählt, trotz der farbenfrohen und symbolträchtigen Umsetzung zu den schwächeren Momenten des Films. Zum einen, weil der Abschnitt spürbar länger geraten ist, als er hätte sein müssen. Zum anderen, weil Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings dann wieder in das Schema einer überlebensgroßen Herausforderung fällt, ein visuell an sich einladendes Spektakel, in dem die persönlichen Auswirkungen dessen, was geschieht, auf die einzelnen Figuren geradezu untergeht.

Das tatsächlich Ärgerliche daran ist, dass trotz der an sich erstklassigen Optik, der tollen Perspektiven und der interessanten Ideen beim Szenenaufbau, die wenigsten Actionszenen „echt“ wirken. Die Flucht aus dem Hochhaus in Macau mit einer packenden Kampfszene an der Häuserfassade ist vielleicht das filmische Highlight in dieser Beziehung, allein schon, weil der Abschnitt so aussieht, als wären die Beteiligten dort in luftiger Höhe zugange. Die auch in der Filmvorschau gezeigte Sequenz in einem Bus in San Francisco, in dem sich Shang-Chi gegen einen Trupp Angreifer wehren muss, ist immer dann, wenn das Innere des Fahrzeugs zu sehen ist, mitreißend. Sobald jedoch der Bus von außen zu sehen ist, wie er die ikonisch hügeligen Straßen in Richtung Bucht hinunterfährt, erinnern die Bilder an ein Jahre altes Videospiel und reißen mit auffallend unechten Trickeffekten spürbar aus der Illusion. Ähnlich sieht es bei der großen Schlacht im letzten Filmdrittel aus, wenn sich von einem Moment auf den anderen die Lichtverhältnisse radikal ändern und die Figuren – wie so oft in dieser Art Filme – den Gesetzen der Physik trotzen.

Dies heißt nicht, dass man sich bei Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings nicht gut unterhalten lassen kann, aber es verstärkt den Eindruck, dass die Geschichte vielleicht größer ausgesucht ist, als die Verantwortlichen sich leisten konnten. Fans des Franchise dürfen sich zudem über Verbindungen unter anderem zu Der unglaubliche Hulk [2008] und Iron Man 3 [2013] freuen, letzteres sogar mit gelungenen, filmischen Interpretationen auf vergangene US-Präsidenten. Nicht zuletzt die Szene während des Abspanns und diejenige danach verzahnen die Geschichte nicht nur mit den vergangenen Filmen der Reihe, sondern etablieren ihn auch für die Zukunft. Die starken und interessanten Figuren, allen voran Shang-Chi selbst und dessen Schwester Xialing, sind der Grund, dass man hofft, dass die Verantwortlichen ihr Versprechen am Ende einlösen, wenn es heißt, dass die Zehn Ringe zurückkehren werden.


Fazit:
Dass Filmemacher Destin Daniel Cretton viele Abschnitte des Films im chinesischen Original belässt und mit Untertiteln versieht, anstatt die Dialoge durchweg zu synchronisieren, deutet bereits an, dass den Verantwortlichen auch an der Authentizität der Mythologie gelegen ist. Die erscheint dabei nicht nur unglaublich detail- und facettenreich, sondern so vielversprechend, dass es beinahe schade ist, dass sich die Story am Ende wieder in „das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel“-Szenarien verliert, anstatt sich mehr auf die Figuren und das neu zu entdeckende Universum zu konzentrieren. Die Besetzung verleiht alldem viel Charme und Charakter, allen voran Simu Liu, Tony Leung und Fala Chen. Die Kampfszenen sind packend und anmutig choreografiert, die Action überwiegend mitreißend, wenn sie denn praktisch umgesetzt ist, und dass die Geschichte hinsichtlich der Atmosphäre in Richtung Doctor Strange lehnt, ist geradezu erfrischend. Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings spricht nicht nur bestehende Fans des Franchise an, sondern lädt mit diesen sympathischen Figuren und einer Welt, die so fantasievoll und farbenfroh ist, zu einem vertrauten und doch neuen Abenteuer. Das mag in den ersten Zweidritteln packender sein, als im letzten, aber es nichtsdestoweniger eine Achterbahnfahrt, die für die große Leinwand gemacht ist.