Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie [2021]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. August 2021
Genre: Krimi / Science Fiction

Originaltitel: Reminiscence
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Lisa Joy
Musik: Ramin Djawadi
Besetzung: Hugh Jackman, Rebecca Ferguson, Thandiwe Newton, Cliff Curtis, Marina de Tavira, Daniel Wu, Mojean Aria, Brett Cullen, Natalie Martinez, Angela Sarafyan, Nico Parker


Kurzinhalt:

In nicht allzu ferner Zukunft ist der Meeresspiegel gestiegen. Stadtgebiete wie Miami sind großflächig überschwemmt, während riesige Barrieren die Wassermassen von den Innenstädten abhalten sollen. Viele Menschen sehnen sich nach besseren Zeiten und suchen Nick Bannister (Hugh Jackman) und seine Geschäftspartnerin Emily (Thandiwe Newton), genannt „Watts“, auf. Sie betreiben einen Apparat, mit dem man einzelne Erinnerungen nochmals besuchen und erleben kann. Eines Tages betritt Mae (Rebecca Ferguson) ihr Geschäft, auf der Suche nach einem verlorenen Schlüssel und während Watts der Fremden skeptisch gegenübersteht, ist Nick von ihr fasziniert. Es entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen ihnen, bis Mae urplötzlich und spurlos verschwindet. Nick ist am Boden zerstört und begibt sich auf die Suche nach ihr, die ihn zu dubiosen Gestalten wie Saint Joe (Daniel Wu) und Cyrus Booth (Cliff Curtis) führt. Was er entdeckt, wird nicht nur seine Welt auf den Kopf stellen …


Kritik:
Auch wenn Lisa Joys Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie sichtlich durch andere Genrevertreter inspiriert ist – wenn denn klar wird, in welchem Genre sich ihr Spielfilmregiedebüt bewegt –, es ist die Mischung der verschiedenen Einflüsse zusammen mit einer so detailreich gestalteten Welt, die hier heraussticht. In erlesene Bilder getaucht und durch starke Darbietungen veredelt, ist dies ein geradezu klassischer Noir-Krimi in einem modernen Gewand, der ein Publikum verlangt, das bereit ist, mitzudenken. Wenn auch nicht zu viel.

In einer nicht allzu fernen Zukunft hat sich die Menschheit vor dem steigenden Meeresspiegel zurückgezogen in Städte, die teilweise dauerhaft und in unterschiedlichen Ausprägungen unter Wasser stehen. Tagsüber ist Miami beinahe verlassen, da die Menschen der Hitze entgehen wollen. Nachts erwacht die Stadt zum Leben. Darunter auch Nick Bannister, der zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Watts seiner Kundschaft einen Ausweg aus dem wenig hoffnungsvollen Alltag bietet, in dem die Spuren des vergangenen Krieges durch das steigende Wasser immer noch präsent sind. Über eine spezielle Apparatur können die Menschen in ihre Erinnerungen eintauchen und diese erneut erleben. Es ist ein Fenster in eine bessere Welt, das für manche zur Sucht wird. Nick leitet die Menschen mit seiner Stimme durch die Erinnerungen und zusammen mit Watts kann er die Erinnerungen in einem dreidimensionalen Hologramm sogar sehen und aufnehmen. Es ist eine Technik, die früher für Verhöre benutzt wurde und mit der Nick und Watts auch die Strafverfolgungsbehörden unterstützen.

Dies klingt, als benötige man für das Verständnis von Reminiscence viel Vorwissen und in der Tat ist dies noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein, was Joy in den zwei Stunden vorstellt. Zur eigentlichen Geschichte sei nur noch gesagt, dass eines Tages die von Rebecca Ferguson gelungen mysteriös verkörperte Mae bei Nick erscheint, auf der Suche nach ihren Schlüsseln. Zwischen ihnen entwickelt sich eine Beziehung, die jäh endet, als Mae ohne Vorwarnung verschwindet. Auf der Suche nach ihr muss Nick feststellen, dass sie nicht diejenige ist, die sie vorgab zu sein. Je weiter erforscht, umso mehr verliert er sich und kommt gleichzeitig einer immer verworreneren Wahrheit auf die Spur. Das Puzzle, das hier durch das Drehbuch entworfen wird, umspannt dabei wie in Noir-Krimis nicht unüblich einflussreiche Persönlichkeiten ebenso wie deren Macht auf die breite Bevölkerung. Die im Zentrum stehenden Figuren sind dabei allesamt durch eine Vergangenheit gebrochen, der sie nicht entkommen können. Und selbst wenn sie es selbst nicht ahnen, sind sie alle auf der Suche nach Vergebung.

Angesiedelt ist dies in einer Welt, die wie eine alptraumhafte, nostalgische Zukunftsvision der Unseren erscheint. Die Hochhäuser und Skyline sind unverkennbar, auch die Häuser, Kleidung und dergleichen. Aber während die Technologie punktuell fortgeschritten scheint, erwecken andere Elemente wie Fassaden oder Bars, gar ganze Einrichtungen, den Eindruck, als stammten sie aus den 1930er- bis 50er-Jahren. In zwei Stunden gelingt es Reminiscence, eine stimmigere Welt zu entwerfen mit ihren sozialen Strukturen wie auch der geänderten Landschaft, als manchen Serien in Jahren. Ähnlich ist es bei den Figuren und ihren Verbindungen. So sind alle drei Hauptdarstellerinnen und -darsteller sichtlich gefordert. Während Hugh Jackman innerhalb weniger Augenblicke die gesamte Bandbreite der menschlichen Gefühlswelt abrufen darf, vom Glück und der Hoffnung über die schiere Verzweiflung und unbändige Wut, stehen dem Thandiwe Newton und Rebecca Ferguson in nichts nach, auch wenn die Charaktere weniger stark ausgeprägt sind.

Handwerklich versieht Lisa Joy ihre Geschichte mit ebenso malerischen wie unheilvollen Bildern, die als Perspektiven für sich ebenso stehen, wie in der ganzen Zusammenstellung. Es ist, als würde man ein ebenso farbenfrohes wie in den dunklen Schattierungen fein abgestuftes Graphic Novel zum Leben erweckt sehen. Dass ausgerechnet die wenigen Actionhighlights einen gewissen Schwachpunkt darstellen, ist bedauerlich. Darin gelingt es der Regisseurin nicht, ein spürbares Tempo zu entwickeln, oder gar eine Bedrohung. Auch scheinen manche Abschnitte länger, als sie sein müssten. Es sind Schwächen, die in Anbetracht der vielen gelungenen Momente und des schieren Designs jener Welt, die so umfassend wirkt, als würde man nur einen Blick in ein stimmiges Gesamtbild hinein werfen, kaum ins Gewicht fallen, wenn man denn einen solchen Krimi erwartet.


Fazit:
Dass sich auch die Verantwortlichen der Tatsache bewusst sein müssen, dass es viel zu erklären gibt, wird bereits durch den Off-Kommentator deutlich, denn Nick begleitet die Geschichte intensiv mit Erläuterungen und Hintergrundinformationen. Das klingt wie ein Klischee, tatsächlich bedient sich Filmemacherin Lisa Joy vieler Elemente solch klassischer Detektivgeschichten. Doch das ist kein Kritikpunkt. Wenn Nick eingangs erzählt, „die Vergangenheit kann einen heimsuchen. [… Dabei sind] wir es, die die Vergangenheit heimsuchen“, dann klingt dies melancholisch und schwermütig. Doch es legt den Grundstein für die Stimmung von Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie, der als Neo-Noir-Krimi zahlreiche Aspekte des Genres gelungen vereint, darunter auch Randfiguren, die später wichtig werden, oder der Kampf gegen das Establishment. Toll und bedacht bebildert umgesetzt, mit durchaus sinnlichen Momenten zwischen den beiden Hauptfiguren, ist bereits das fantastische Design der überschwemmten Städte mit den Wassertaxen, einer Gesellschaft, der das Wasser bis zum Halse steht und die sich in die Erinnerung flüchtet, sehenswert. Die Wendungen mögen nicht alle unerwartet kommen und einige betont sinnbildliche Aufnahmen sehr dick aufgetragen sein, doch die verschachtelte Story ist trotz mancher Logiklöcher clever erzählt (selbst wenn die Off-Kommentare selten so desillusioniert klingen mögen, wie man es genrebedingt erwarten würde), die Besetzung sichtlich gefordert und engagiert und das Ende, das die Frage, ob es eine Erlösung in dieser Welt gibt, doch sehr eindeutig beantwortet, ein überaus passender Schluss. Klasse!