Eine unbequeme Wahrheit [2006]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. August 2021
Genre: Dokumentation

Originaltitel: An Inconvenient Truth
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2006
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Davis Guggenheim
Musik: Michael Brook
Personen: Al Gore, George Bush, George W. Bush, Ronald Reagan


Hintergrund:

Bereits 1989 begann der damalige US-Senator Al Gore, in Vorträgen über Globale Erwärmung zu referieren. Es war ein Thema, das ihn bereits seit seiner Studienzeit beschäftigte, als er darauf aufmerksam gemacht wurde. Nach der Jahrtausendwende, als ehemaliger Vize-Präsident und gescheiterter Präsidentschaftskandidat, nahm Gore diese Vorträge wieder auf. Filmemacher Davis Guggenheim bietet dem Publikum einen Einblick in einen solchen Vortrag und damit die Zusammenhänge, die Gore seiner Zuhörerschaft vermittelt. Er erläutert die Hintergründe der zugrundeliegenden Wissenschaft und wie die Schlussfolgerungen zustande kommen. Unterlegt mit Zahlen, Fakten und Bildern der Auswirkungen der Globalen Erwärmung, richtet Al Gore einen eindringlichen Appell an die Menschen dieser Welt. Es ist „eine unbequeme Wahrheit“ …


Kritik:
Wie bringt man einem Publikum ein Thema nahe, das die gesamte Menschheit vereint und die eigene Lebensspanne überdauern wird? Wie nähert man sich einer Herausforderung, die, um sie vollkommen zu verstehen, eine wissenschaftliche Expertise voraussetzt und jahrzehntelang angesammelte Erkenntnisse? In seinen weltweiten Diavorträgen zum Thema Globale Erwärmung hat der ehemalige Politiker und sogar Beinahe-Präsident der Vereinigten Staaten, Al Gore, genau dies versucht und präsentiert mit Eine unbequeme Wahrheit einen ebenso verständlichen wie schockierenden Blick auf unsere Welt und worauf sie zusteuert, der 15 Jahre später nichts von seiner Aussage verloren hat. Ganz im Gegenteil.

Dabei führt der Blick zurück auf die seinerzeit preisgekrönte Dokumentation, die als erste sogar zwei Oscars gewonnen hat, als bester Dokumentarfilm und für den besten Song „I Need To Wake Up“ von Melissa Etheridge, auf noch erschreckendere Weise vor Augen, wie wenig sich in mancherlei Hinsicht seither getan hat – und wie viel auf der anderen Seite. Denn während das allgemeine Verständnis für den von Menschen gemachten Klimawandel (oder treffender: Klimakrise) deutlich zugenommen hat, scheinen weiterhin politische Entscheidungsträgerinnen und -träger gewählt zu werden, die nicht gewillt oder in der Lage sind, sich des Problems anzunehmen.
Um beim Publikum überhaupt ein Verständnis dafür zu wecken, wie bestimmte Prozesse zusammenhängen, beginnt Al Gore bei sich selbst. Er erzählt, wie sein Harvard-Professor Roger Revelle begann, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu messen und wie die Wissenschaft bereits vor einem halben Jahrhundert zu der Erkenntnis kam, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dieser Konzentration und der mittleren Erdtemperatur gibt. Mit anschaulichen, einfach gehaltenen Diagrammen führt Eine unbequeme Wahrheit bildlich vor Augen, was dies bedeutet, wie die Wissenschaft an diesen Punkt gekommen ist und was die Vorhersagen für die Zukunft bedeuten werden.

Dabei mag Gore Zusammenhänge unterschlagen, die in Wirklichkeit schwer zu verstehen sind, die Schlussfolgerungen, die er trifft, werden von der Wissenschaft jedoch nicht angezweifelt und spiegeln den damaligen Erkenntnisstand wider (der heute nicht wirklich anders ist). Die Dokumentation verknüpft diese Datenbasis mit von Al Gore selbst gemachten Erfahrungen, wenn er Wissenschaftler weltweit aufsucht, um die Zusammenhänge zu verstehen, oder wenn Familienschicksale mit eingewoben werden. Es gibt der nur schwer fassbaren Thematik einer weltumspannenden Krise einen menschlichen Ankerpunkt, und man mag sich kaum ausmalen, wie die Weltpolitik ausgesehen hätte, wäre Al Gore bei der US-Präsidentenwahl im Jahr 2000 nicht knapp George W. Bush unterlegen gewesen. Ohne das Publikum dabei zu unterschätzen, werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse nachvollziehbar dargelegt. Weshalb sich die Welt weiter aufheizt und wie sich dies auf den Globus insgesamt, auf einzelne Länder oder auch individuelle Tierarten auswirkt. Dabei macht Eine unbequeme Wahrheit den Zuhörenden keinen Vorwurf. Es ist nicht, als wollte die Dokumentation anklagen. Vielmehr möchte sie aufklären, Verständnis wecken und so zum Handeln auffordern.

Dabei begegnet Al Gore immer wieder den scheinbaren Argumenten von denen, die die Menschen gemachte Klimaerwärmung leugnen oder wenigstens anzweifeln. Mit unwiderlegbaren Nachweisen wird unterstrichen, welche Aussagen stimmen und dass die Zusammenhänge – zurückgehend mehr als 600.000 Jahre – nicht zu leugnen sind. Und wenn sogenannte Klima-Skeptiker behaupten, dass die Konzentration an Schadstoffen in der Atmosphäre in der Erdgeschichte bereits bedeutend größer gewesen ist, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir Menschen die Atmosphäre zur Zeit der Dinosaurier nicht dauerhaft hätten atmen können. Hat man die Auswirkungen menschlichen Handelns auf das Weltklima verinnerlicht, dann können einen die Bilder der zunehmenden Katastrophen, „Jahrhundertereignisse“ und dadurch ausgelöste Krisen weltweit nicht unberührt lassen. Blickt man aus heutiger Sicht zurück, möchte man meinen, dass die damaligen Warnungen laut genug waren, um die Menschen wachzurütteln. Sieht man sich dagegen die Berichte in den seriösen Medien heute an, hat sich an den Diagrammen, den Tabellen und Warnungen nichts geändert, mit Ausnahme der Tatsache, dass die heutigen Werte höher sind, als damals oder gar als damals prognostiziert. Offenbar haben wir als Spezies den Appell von Melissa Etheridges Song nach wie vor nicht verstanden.


Fazit:
Mit einer engelsgleichen Geduld erläutert Al Gore bei seinen Vorträgen seiner Zuhörerschaft die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge zwischen den von Menschen verursachten Treibhausgasen, der Globalen Erwärmung und der davon ausgelösten Klimakrise. Regisseur Davis Guggenheim strukturiert dies auf eine inhaltlich greifbare Art und Weise, die nie zu lang oder ausführlich gerät, zumal die persönlichen Hintergründe Gores seiner Überzeugung, die Menschen wiederum überzeugen zu müssen, einen Kern verleiht, der ihn nur authentischer auftreten lässt. Auch 15 Jahre später hat die Dokumentation nichts von ihrer inhaltlichen Brisanz, der Aktualität oder ihrer Dringlichkeit, sich dieses Themas nicht weiter zu verschließen, verloren. Im Gegenteil, immerhin sind manche seiner Prognosen inzwischen sogar bereits eingetroffen. Insoweit sollte Eine unbequeme Wahrheit nicht der Endpunkt sein, mit dem sich das Publikum über die Klimakrise informiert oder überhaupt beschäftigt. Aber sie ist ein aufschlussreicher und zum Handeln ermutigender Anhaltspunkt, der nicht zuletzt beim Abspann einfache Wege aufzeigt, wie man sich aus der persönlichen Warte heraus beteiligen kann, selbst wenn die grundlegende Situation auf globaler Ebene angegangen werden muss. Es mag nicht mehr als ein Anfang sein, aber es ist ein Anfang, den man nicht früh genug machen kann.