Lost: Staffel 5 [2009]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Juli 2020
Genre: Drama / Thriller / Fantasy

Originaltitel: Lost: Season 5
Laufzeit: 733 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2008 / 2009
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Stephen Williams, Jack Bender, Rod Holcomb, Paul Edwards, Mark Goldman, Greg Yaitanes, Bobby Roth
Musik: Michael Giacchino
Besetzung: Matthew Fox, Evangeline Lilly, Josh Holloway, Terry O’Quinn, Naveen Andrews, Jorge Garcia, Yunjin Kim, Daniel Dae Kim, Henry Ian Cusick, Elizabeth Mitchell, Michael Emerson, Ken Leung, Jeremy Davies, Rebecca Mader, François Chau, Jeff Fahey, Sonya Walger, Alan Dale, John Terry, Néstor Carbonell


Kurzinhalt:

Während die als Oceanic-6 bekannt gewordenen Überlebenden des Fluges 815 zunehmend zu der Überzeugung gelangen, dass sie auf die Insel zurückkehren müssen, wenn sie verhindern wollen, dass diejenigen, die sie zurückgelassen haben, sterben werden, befinden sich die Personen dort in großer Gefahr. Nicht nur, dass sie die Auswirkungen dessen zu spüren bekommen, was John Locke (Terry O’Quinn) in Gang setzte, als er zusammen mit Ben Linus (Michael Emerson) die Insel verändern wollte, sie müssen erkennen, dass ihr Schicksal mit den Ereignissen, die die Insel zu dem machten, was sie ist, unmittelbar verbunden ist. Dabei werden die Opfer, welche die Insel von ihnen verlangt, nur größer. Sei es von Jack (Matthew Fox) und Kate (Evangeline Lilly), Sayid (Naveen Andrews) oder Sawyer (Josh Holloway). Je mehr sie versuchen, ihrem Schicksal zu entkommen, umso mehr könnten sie es im Zuge dessen herbeiführen …


Kritik:
Lost: Staffel 5 macht es ausgesprochen schwer, über den Inhalt der nur 17 Episoden zu sprechen, ohne nennenswerte Elemente dessen, was zuvor war, oder was darin selbst passiert, zu verraten. Und auch wenn es an sich ein schlechter Stil ist, eine Kritik mit dem Ende zu beginnen: Der Cliffhanger des Staffelfinales stellt alle bisher dagewesenen, offenen Enden der Serie in den Schatten. Bis es soweit ist, widmen sich die Stories hauptsächlich Figuren, die bislang nicht in dem Maße im Mittelpunkt standen. Wer das als Kritikpunkt sieht, sollte bedenken, dass kein einziger Charakter das Jahr ohne Blessuren überstehen wird.

In den vergangenen Staffeln hatte man teilweise das Gefühl, dass die Art des Geschichtenerzählens in Lost zwar dafür sorgte, dass dem Publikum die Figuren vertraut waren wie in kaum einer anderen Serie, bewegte sich die eigentliche Story, die Erlebnisse jener Überlebenden des Oceanic-Fluges 815, der auf einer geheimnisvollen Insel abgestürzt war, jedoch gefühlt nur wenig von der Stelle. Auf der erzählerischen Zielgeraden – immerhin hatten sich die Macher mit dem Studio früh auf eine Gesamtlänge von sechs Staffeln geeinigt – hat es indes den Anschein, als wollten sie dieses Defizit nicht nur aufholen. Die Rahmengeschichte, die nicht nur unterschiedlichen Personen und Gruppen folgt, sondern gleichzeitig in mehreren Zeitebenen erzählt ist, nimmt ein solch halsbrecherisches Tempo auf, dass es in der Tat stellenweise schwerfällt, den Überblick zu behalten, wo und auch wann man sich gerade befindet.

Die hauptsächliche Besetzung des vorangegangenen Jahres bleibt dabei beinahe unverändert. Allerdings ergeben sich im Lauf der Erzählung recht unerwartete Allianzen. Wird Jack als ehemaliger Anführer der Gruppe Überlebender zunehmend weiter ausgegrenzt, entwickelt sich der von Terry O’Quinn ebenso mysteriöse wie charismatisch gespielte John Locke zum Mittelpunkt der Geschichte, selbst wenn er nicht allzu viel Raum in ihr einnimmt. Dafür erhält der kantige Sawyer ungewohnte Facetten.
Mit mehr als einem Dutzend Hauptrollen ist auch Staffel 5 von Lost ein Ensemble-Drama, das inhaltlich kaum schwerer auszubalancieren sein könnte. Dass all diese Figuren etwas zu tun bekommen, die gesamte Besetzung jeweils eine Szene bekommt, in der sie glänzen darf, ist den Autorinnen und Autoren hoch anzurechnen. Es mag auch erklären, weswegen es der Serie nach wie vor gelingt, ebenso namhafte wie engagierte Talente selbst für Nebenrollen gewinnen zu können.

Doch was das Publikum hier eigentlich mitreißt, ist die Geschichte an sich. Dass diese zunehmend religiöse und fantastische Züge annimmt, mag Manchen missfallen, es verleiht der Erzählung jedoch gleichzeitig eine Ebene, die über das greifbare Element einer Dramaserie hinausgeht, wenn dadurch philosophische Fragen aufgeworfen werden. Am erstaunlichsten ist allerdings, wie gut es die Macher verstehen, gerade durch die verschiedensten Zeitebenen der fünften Staffel die vielen unterschiedlichen Aspekte der Serie bis dahin miteinander zu verweben. Angefangen von den seltsamen Einrichtungen des Dharma-Projekts, mit deren Experimenten das Publikum spätestens seit der zweiten Staffel konfrontiert wurde, dem Verweis auf Siedlungen jener Wissenschaftler, die zwischenzeitlich von den „Anderen“ übernommen worden waren, oder immer wieder angesprochener Zwischenfälle, die beispielsweise dazu führten, dass ein Knopf alle 108 Minuten gedrückt werden musste. Lost hat in den nicht einmal 90 Episoden bis zum Beginn der fünften Staffel so viele Fragen aufgeworfen und so viele verschiedene Fraktionen vorgestellt, dass man meinen konnte, zwischen all diesen gäbe es keine sinnvolle Verbindung. Man erinnere sich beispielsweise an die Überreste einer übergroßen Statue am Strand. Nicht erst ab der Mitte von Staffel 5, vor allem jedoch zum Ende hin, stellen die Macher eben diese Verknüpfungen her. Mit kleinen Szenen und Momenten aus den Leben der zentralen Figuren im Finale selbst, werden Details aufgezeigt, die für sich genommen nicht entscheidend zu sein scheinen, die aber im Kontext der gesamten Serie die Bedeutung eines Schlusssteins im Gewölbe der ganzen Erzählung einnehmen.

Diese zahlreichen kleinen Offenbarungen besitzen für Zuschauerinnen und Zuschauer der ersten Stunde nicht nur etwas Belohnendes, sondern geradezu Befreiendes. Sieht man bestimmte Puzzleteile endlich an den richtigen Platz fallen, verfestigt sich zumindest stellenweise ein Gesamtbild. Es bleibt trotz vieler offener Fragen das Gefühl, man habe mit den Figuren nicht umsonst mitgefiebert. Wie nah die Macher diesbezüglich ihrem Publikum sind, erkennt man auch daran, dass manche Dialoge und Momente überaus amüsant gehalten sind, selbst wenn die zugrunde liegende Dramastory das genaue Gegenteil darstellt. So unterhalten sich Figuren beispielsweise innbrünstig über die bekanntesten Themen der modernen Popkultur oder der Science Fiction, um mit allen „nerdigen“ Erklärungen schließlich doch an einem Paradoxon zu scheitern, über das nicht nur auf Fan-Conventions heftigst debattiert wird – und die Serie unmittelbar selbst betrifft. In diesen Momenten wirken die Figuren, so weit sie gefühlt entfernt sein mögen auf jener seltsamen Insel, dem Publikum ganz nah.

Dass erneut bereits bekannte Charaktere wie der von Néstor Carbonell dubios zum Leben erweckte Richard Alpert, der in Staffel 3 zum ersten Mal zu sehen war, weiter in den Fokus rücken, verleiht der Geschichte insgesamt einen ungemeinen Zusammenhalt.
Staffel 5 war insgesamt für fünf Emmy Awards nominiert, darunter beste Drama-Serie und bestes Drehbuch für eine Drama-Serie für das Staffelfinale „Der Vorfall“. Erhalten hat einzig Nebendarsteller Michael Emerson die begehrte Trophäe für seine Darbietung als Ben Linus, nachdem er bereits in den vorangegangenen beiden Jahren nominiert worden war. Er ist nach wie vor ein Highlight und inzwischen ein zentraler Bestandteil der Erzählung. Wohin die nach den letzten Momenten des Finales hier führen wird, vermag man in der Tat nicht vorherzusagen.


Fazit:
Zahlreiche Entwicklungen und Figuren, die seit Staffel 2 immer wieder aufgetaucht oder angedeutet worden waren, werden hier nicht nur zusammengeführt, sondern erhalten mitunter gar eine andere Bedeutung. Zu sehen, wie diese verschiedenen Teile, vorbereitet mitunter seit Jahren, zusammenpassen, bekannte Charaktere gewissermaßen aus dem Nichts geformt werden, ist in der Tat faszinierend und dank der immens temporeichen Erzählung auch packend. All das sorgt dafür, dass es keine Episoden zu geben scheint, die einzig dazu dienen, die Länge der Staffel hinauszuziehen. Jede einzelne Folge ist wichtig, um die Mythologie hinter der Serie auszubauen, oder einzelne Figuren darin zu verstehen. Das heißt nicht, dass alle gut gelungen sind. Einige Besetzungen erscheinen weniger sorgfältig erfolgt zu sein als andere (z. B. die des ganz jungen Charles Widmore). Dafür gibt es zahlreiche andere, die fantastisch gelungen sind. Ob die Macher der Henne-Ei-Problematik einen neuen Lösungsansatz verleihen können, wird man abwarten müssen. Ebenso, ob es gelingt, der großen Story im Hintergrund einen zufriedenstellenden Abschluss zu verleihen. Die enge Verzahnung der einzelnen Story-Elemente macht den Reiz von Lost aus. Dieser Aspekt wird hier auch vorangetrieben und gleichzeitig die Figuren weiterentwickelt. Staffel 5 erweckt das Gefühl des letzten Anstiegs der Achterbahn, ehe die Fahrt mit zahlreichen Loopings ausklingt. Nach dem Spannungsaufbau nicht nur der vergangenen Jahre ist die Erwartungshaltung entsprechend groß. Nicht nur den Charakteren, auch der fabelhaften Besetzung würde man ein gelungenes Finale dieser Fahrt wünschen.