Queen & Slim [2019]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 10. Dezember 2019
Genre: Drama

Originaltitel: Queen & Slim
Laufzeit: 132 min.
Produktionsland: Kanada / USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Melina Matsoukas
Musik: Devonté Hynes
Besetzung: Daniel Kaluuya, Jodie Turner-Smith, Bokeem Woodbine, Chloë Sevigny, Flea, Sturgill Simpson, Indya Moore, Benito Martinez, Jahi Di'Allo Winston, Thom Gossom Jr., Melanie Halfkenny


Kurzinhalt:

Obwohl die Verabredung nicht so gelaufen ist, wie sie beide vermutlich erhofft haben, war es für Slim (Daniel Kaluuya) und Queen (Jodie Turner-Smith) doch ein netter Abend. Als er sie nach Hause fährt, werden sie von einer Polizeistreife für eine Verkehrskontrolle angehalten. Es ist eine Situation, wie sie unzählige Male am Tag geschieht und die in kürzester Zeit auf Grund einer Bagatelle vollkommen außer Kontrolle gerät. Minuten später ist Queen angeschossen und Slim hat den Polizisten in Notwehr getötet. Anstatt sich zu stellen, ergreifen sie die Flucht nach Süden, zu Queens Onkel Earl (Bokeem Woodbine). Sie sind noch keinen Tag unterwegs, als ein Video der Tat ins Internet gestellt wird. Im Nu erfahren sie Unterstützung überall, wo sie anhalten müssen und werden als Inspiration gesehen, dass sich die farbige Bevölkerung gegen die Polizeigewalt wehren muss. Als sie schließlich entscheiden, wohin sie fliehen wollen, ist ihnen die Polizei nicht nur immer dichter auf den Fersen. Es scheint nur eine Weise zu geben, wie all dies enden wird …


Kritik:
Am Ende von Melina Matsoukas’ Spielfilmregiedebüt Queen & Slim bleibt der Eindruck, dass dieses ebenso aktuelle wie wichtige Thema einen besseren Film verdient hätte. Das klingt, als wäre der Einstand der Filmemacherin nicht geglückt, dabei ist in vielerlei Hinwicht das Gegenteil der Fall. Die Besetzung ist bemerkenswert, die Inszenierung geradezu einladend und insbesondere das erste Drittel greifbar packend. Nichtsdestotrotz ist der Film merklich zu lang, das Ende lange absehbar und es fehlt eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Status der beiden Hauptfiguren. Dass die Geschichte im Ursprungsland indes eine ganz andere Dimension an Bedeutung gewinnt, bleibt unbestritten.

Sie beginnt mit einem harmlosen Treffen zwischen einer jungen Frau und einem jungen Mann. Auch wenn ihre Namen bis kurz vor Schluss nicht genannt werden, seien sie hier als die Titelfiguren Queen und Slim bezeichnet. In dem kurzen Dialog erfährt das Publikum, dass Queen Rechtsanwältin ist. Slim arbeitet als Kassierer und scheint ein guter Kerl zu sein, höflich, hilfsbereit und gläubig. Vor drei Wochen bereits hatte er sie bei einer Dating-App um ein Treffen gebeten und nachdem sie nun einen besonders schlechten Tag hatte, wollte sie eine Ablenkung und hat zugestimmt. Obwohl sie sich nicht gänzlich unsympathisch sind, kann Queen sich nicht mehr mit Slim vorstellen. Als er sie mit dem Auto nachhause fährt, werden sie für eine Verkehrskontrolle angehalten. Das wäre nichts außergewöhnliches, aber beide sind Afroamerikaner und Schlagzeilen von Standardsituationen, die für farbige Beteiligte tödlich enden, keine Seltenheit.
Die Kontrolle beginnt harmlos und gerät wegen einer Kleinigkeit vollkommen aus den Fugen. Am Ende ist Queen verletzt und der Polizist von Slim erschossen. Die Dashcam hat alles aufgezeichnet und noch bevor sie ihre Flucht tatsächlich angetreten haben, hat ein Video der Tat bereits Hunderttausende Aufrufe im Internet.

Wie eine Rechtsanwältin zur Flucht raten kann, anstatt dass sie sich der Polizei stellen, scheint ein Rätsel. Doch sie hat scheinbar ihre Gründe, selbst wenn das Drehbuch diese nicht weiter herausarbeitet. Stattdessen überlegen die beiden Flüchtigen, was sie tun sollen und fahren hierfür zu Queens Onkel nach New Orleans. So beginnt Queen & Slim einen Road-Trip, bei dem beide zunächst ein Ziel suchen und als dieses feststeht, immer wieder Zwischenstopps einlegen, um etwas längst Überfälliges zu erledigen. Dabei eilt ihnen ihr Ruf weit voraus und sie erfahren überall, wo sie erscheinen, unerwartet Unterstützung. Hierauf konzentriert sich auch Melina Matsoukas’ Drama letztendlich. Es würde sich zwar anbieten, würden sie bei ihrer Reise verschiedene Gesellschaftsschichten kennenlernen, mit weiteren Schicksalen der farbigen Bevölkerung konfrontiert, die bereits Polizeigewalt erfahren haben, doch damit beschäftigt sich die Drehbuchvorlage nicht. Selbst wenn sich Demonstrationen bilden, deren Teilnehmer für die Flüchtigen auf die Straße gehen, selbst wenn dabei junge Menschen zu tödlicher Gewalt sogar gegen farbige Polizisten greifen, wird dies nur geschildert, aber nicht kommentiert.

Der Moment gehört zu den schockierendsten des Films und lässt einen doch überraschend teilnahmslos zurück. Queen & Slim hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, ohne das Bild, das darin zu sehen ist, zu beschreiben oder Wege aus dieser Situation heraus aufzuzeigen. Umso mehr stellt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck des Road-Trips hier, der gerade im letzten Abschnitt viele Zwischenstopps einlegt, die inhaltlich nirgendwo hinführen und entsprechend nicht notwendig sind. All das ist handwerklich tadellos und in bemerkenswerten Perspektiven eingefangen. An der inszenatorischen Handschrift gibt es in der Tat nichts zu deuten. Auch ist der Besetzung, angeführt von dem stets beeindruckenden Daniel Kaluuya und Jodie Turner-Smith, deren Darbietung ebenso preiswürdig ist, kein Vorwurf zu machen. Zu ihren Figuren baut das Drama und damit auch das Publikum eine Verbindung auf, die erst ganz am Ende spürbar wird, wenn sich in einem Moment alles ändert. Dennoch setzt sich der Film nicht klar (genug) damit auseinander, ob die beiden Flüchtigen Täter oder inspirierende Opfer sind. Nicht in Anbetracht ihrer Taten bei der Verkehrskontrolle, sondern danach. Es ist ein Versäumnis, das ebenso wachrütteln, wie in Anbetracht der letzten Minuten, folgenschwere Schlüsse zulassen kann.


Fazit:
Man kann die Wut der Filmemacher förmlich spüren, die vollkommen zurecht die tagtägliche Diskriminierung der farbigen Bevölkerung und die nicht zu leugnende Polizeigewalt ihnen gegenüber anprangern. Dass sie mit dieser Geschichte um ein Pärchen im Stile von Bonnie und Clyde (wobei der Vergleich auf Grund der unterschiedlichen Motivation der beiden Paare hinkt) eine Diskussion anregen, ist sicher beabsichtigt und auch überaus gelungen. Doch sie tun dies, ohne den Diskurs mit Argumenten zu versorgen und sie stellen nie die Frage, ob Queen und Slim die Helden der Geschichte sind, oder nicht. Hier keine Antwort zu liefern ist ebenso mutig wie gefährlich. Man kann insofern sehen, was Filmemacherin Melina Matsoukas mit ihrem Debüt erreichen wollte und handwerklich gibt es daran nichts auszusetzen. Die Bilder sind erstklassig, die Darsteller hervorragend und auch die Atmosphäre des Dramas kann durchweg überzeugen. Dennoch wirkt die Erzählung ebenso wie der Road-Trip im Mittelteil ziellos und zieht sich ca. 20 Minuten zu lang. Queen & Slim ist ein sehr gut gespieltes und ebenso gut inszeniertes Drama, das inhaltlich aktueller kaum sein könnte. Dabei ist seine Bedeutung universell, entfaltet aber vor allem in den USA sicher eine noch drängendere Facette. Nur sollte man nicht einzig von den beiden tragenden Figuren mitgerissen werden, sondern auch von der Geschichte an sich. Das gelingt ihr leider nicht.