Blinded by the Light [2019]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. August 2019
Genre: Biografie / Komödie / Drama

Originaltitel: Blinded by the Light
Laufzeit: 117 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Gurinder Chadha
Musik: A.R. Rahman
Darsteller: Viveik Kalra, Kulvinder Ghir, Meera Ganatra, Aaron Phagura, Dean-Charles Chapman, Nikita Mehta, Nell Williams, Hayley Atwell, Tara Divina, Rob Brydon, Frankie Fox, Sally Phillips


Kurzinhalt:

Im September 1987 befindet sich das Leben des 16jährigen Javed (Viveik Kalra), Sohn einer pakistanischen Einwandererfamilie in einer englischen Stadt nahe London, im Umbruch. Es ist das letzte Jahr, bevor er auf die Universität gehen und seine eigenen Ziele verfolgen will. Zuhause ist sein Vater Malik (Kulvinder Ghir) sehr traditionell eingestellt. Sein Wort gilt und was er für seinen Sohn vorgesehen hat, soll dieser auch tun. Vor allem soll er nichts unternehmen, was ein Pakistaner nicht tun würde. So wie zu schreiben, Javeds große Leidenschaft. Als sein Vater seine Arbeit verliert, steigen die Spannungen zuhause zusehends. Zwar findet Javed in der Lehrerin Ms. Clay (Hayley Atwell) jemanden, der sein Talent entdeckt, und in der politisch engagierten Mitschülerin Eliza (Nell Williams) seine erste Liebe, doch davon, sein eigenes Leben zu leben, scheint er weit entfernt. Bis ihm Roops (Aaron Phagura) zwei Musikkassetten mit Songs von Bruce Springsteen in die Hand drückt. Die Musik spricht direkt aus, was in Javed vorgeht und zeigt ihm einen Weg, das auch auszudrücken …


Kritik:
Im Grunde erzählt Filmemacherin Gurinder Chadha in Blinded by the Light eine gewöhnliche Geschichte über das Erwachsenwerden. Über einen Jugendlichen, der aus dem, was sein Vater sich für ein Leben für ihn vorstellt, ausbrechen und seinen eigenen Weg gehen will. Besonders macht die Geschichte hier zum einen der kulturelle Hintergrund einer pakistanischen Familie im England der späten 1980er-Jahre und was der Hauptfigur letztlich hilft, seinen eigenen Platz im Leben zu finden. So mag die Geschichte selbst nicht neu sein, doch das macht sie nicht weniger sehenswert.

Zumal Blinded by the Light von wahren Ereignissen „inspiriert“ wurde, wie eine Einblendung zu Beginn verrät. Darin erzählt der 16jährige Javed von seinem Leben im englischen Luton, einer Stadt nordwestlich von London. Sein Vater Malik war aus Pakistan hierher gekommen, um sich und seiner Familie ein besseres Leben ermöglichen zu können. Doch er teilt das Schicksal von vielen Einwanderern aus Asien. Obwohl sie in einer Wohngegend der britischen Mittelklasse leben, bleibt die Familie unter sich und trifft sich wenn, dann mit anderen pakistanischen Familien. Dass Javed mit dem Nachbarjungen Matt befreundet ist, ist dem Vater seit jeher nicht recht.

Man muss dazusagen, dass die Geschichte dieser Familie kein Einzelfall ist. Die Schwierigkeiten von Einwandererfamilien aus Ländern des ehemaligen Commonwealth, insbesondere aus Asien, können Berichten und Reportagen entnommen werden. Dass die Ressentiments gegen diese ethnischen Minderheiten seit 2001 in England stark zugenommen haben, ist ebenfalls belegt. Insofern findet Filmemacherin Gurinder Chadha beunruhigende Parallelen zur politischen Spaltung in der Gesellschaft zu jener Zeit und heute.
Mit Fremdenfeindlichkeit sieht sich die Familie regelmäßig konfrontiert. Sei es ein Skinhead, der Javed auf dem Nachhauseweg bedroht, ausländerfeindlichen Schmierereien an den Häuserwänden oder fremden Kindern, die durch den Briefschlitz ins Haus urinieren. Auch Javed wird gemobbt, als er beispielsweise einen Artikel für die Schülerzeitung einreichen will, der Redakteur ihm aber nicht einmal eine Chance gibt.

In seiner Freizeit schreibt Javed Gedichte, Tagebuch und anderes. Sogar Songtexte für Matts gar nicht einmal unerfolgreiche Band. Doch sein Vater ist damit nicht einverstanden, er will, dass sein Sohn einmal Wirtschaft studiert, während Javed selbst hauptsächlich deshalb auf die Universität möchte, um dem Schicksal, das sein Vater für ihn bestimmt hat, zu entkommen. Insofern ist Javed ein ganz normaler Jugendlicher. Es ist die Zeit nach dem Bergarbeiterstreik, nachdem die Premierministerin Margaret Thatcher einen entscheidenden Kampf gegen die Gewerkschaften gewonnen und die Arbeitslosigkeit neue Höhen erreicht hat. Als Javeds Vater seine Arbeit in der Autofabrik durch einen massiven Stellenabbau verliert, fällt es der Familie schwer, über die Runden zu kommen. An diesem Tiefpunkt in seinem Leben entdeckt Javed durch seinen Mitschüler Roops Bruce „The Boss“ Springsteen. Der Musiker spricht ihm aus der Seele, vereint eingängigen Rock mit dem Wehklagen des Kleinen Mannes, derjenigen, die sich von unten nach oben kämpfen wollen oder müssen.

Mit zahlreichen Songs, nicht nur der späten 80er, sondern auch von Springsteen selbst untermalt, ist die Akustik bei Blinded by the Light mehr als bestechend und lädt nicht selten zum Mitwippen ein. Aber nicht nur durch die Musik gewinnt die Geschichte das Publikum für sich. Auch die charmante Besetzung ist bemerkenswert. Wenn Javed Mut fasst und mit den Liedern des Boss im Ohr für seine Wünsche und Überzeugungen eintritt, er die Menschen um sich herum mitreißt, indem er öffentlich zu tanzen und zu singen anfängt, dann ist beim Publikum urplötzlich ein Lächeln vorhanden, das dort zuvor nicht war. Mit den offenen Anfeindungen und der Traditionsverbundenheit seines Vaters behandelt die Regisseurin Themen, die universell gültig sind, gleichzeitig aber das Augenmerk auf eine Bevölkerungsgruppe lenkt, die nach wie vor am Rand der breiten Gesellschaft existiert. Das ist mit Fingerspitzengefühl und Charakter eingefangen. Und wichtig obendrein.


Fazit:
Wenn die Hauptfigur über ihren Vater sagt, dass nur er zuhause eine eigene Meinung haben darf, welche/r Heranwachsende erkennt darin nicht das eigene Empfinden in der Jugend wieder? Statt daraus und der Darstellung der besonderen Situation der pakistanischen Minderheit in England und die Ausgrenzungen, die sie im Alltag erfahren, ein bedrückendes Drama zu machen, erzählt der Film eine inspirierende Geschichte über das Erwachsenwerden und wie schwer es mitunter ist, den eigenen Platz zu finden. Es liegt in der Natur der allermeisten heranwachsenden Menschen, nicht so werden zu wollen, wie die eigenen Eltern. Zumindest so lange, wie sie nicht verstehen, weswegen sie so geworden sind, wie sie sind. Gleichzeitig ist Blinded by the Light ist eine Liebeserklärung an die Macht der Musik im Allgemeinen und an Bruce Springsteen im Speziellen. Mag sein, dass die Regisseurin Gurinder Chadha dem üblichen Muster dieser Geschichte folgt, aber das macht es nicht weniger wohltuend. Blinded by the Light ist ein Film für die Seele, charmant und facettenreich. Nahbar und glaubhaft toll gespielt, einfallsreich gefilmt, wenn Javed förmlich in die Liedtexte eintaucht. Dies mag nicht der beste Film des Jahres sein, aber für ein ruhiges Publikum ist es ein schöner Film. Solche gib es nicht genug.