Frühstück bei Monsieur Henri [2015]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. August 2016
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: L'étudiante et Monsieur Henri
Laufzeit: 95 min.
Produktionsland: Frankreich
Produktionsjahr: 2015
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Ivan Calbérac
Musik: Laurent Aknin
Darsteller: Claude Brasseur, Noémie Schmidt, Guillaume de Tonquedec, Frédérique Bel, Thomas Solivéres, Valérie Kéruzoré, Stéphan Wojtowicz, Antoine Glemain, Grégori Baquet, Anne Loiret


Kurzinhalt:

Die junge Constance (Noémie Schmidt) möchte nicht in die Fußstapfen ihres Vaters treten und den Stand auf dem Markt betreuen. Es zieht sie zum Studium nach Paris, wo sie ein günstiges Zimmer bei dem forschen Monsieur Henri (Claude Brasseur) findet, dessen Sohn Paul (Guillaume de Tonquedec) es ausgeschrieben hatte. Paul möchte, dass Constance ein Auge auf seinen Vater hat, dessen Gesundheit sich verschlechtert hat. Doch Henri macht sich Constances finanzielle Notlage zunutze und bietet ihr an, ein halbes Jahr mietfrei bei ihm zu wohnen, wenn es ihr gelingt, Paul und seine Ehefrau Valérie (Frédérique Bel), die Henri nicht ausstehen kann, auseinander zu bringen ...


Kritik:
Es ist ein schmaler Grat, der die Persönlichkeit im Alter formt. Auf der einen Seite sind all die schönen Erlebnisse, das Erreichte, das, das bleibt und womit man das Leben anderer zum Besseren beeinflusst hat. Auf der anderen alle Enttäuschungen, alles was man bereut, was man anders machen würde, hätte man die Möglichkeit dazu. Während die erste Ansicht einen im Lebensalter dankbar zurückblicken lässt, entsteht durch die zweite eine Bitterkeit, die alles andere zu verschlingen droht.

Regisseur Ivan Calbérac, der mit Frühstück bei Monsieur Henri sein eigenes Theaterstück adaptiert, stellt im Titel gebenden Henri Voizot einen betagten Herrn vor, der offenbar zu letzterem Lager zählt. Da sich sein Gesundheitszustand in letzter Zeit verschlechtert hat, inseriert Henris Sohn Paul ein Zimmer in der geräumigen Altbauwohnung seines Vaters, für das die junge Studentin Constance den Zuschlag erhält. Sie soll auf Henri aufpassen als Kompensation für die geringe Miete. Doch Henri, dem es gar nicht passt, dass sein Sohn mit der erzkonservativen Valérie verheiratet ist, dreht den Spieß um und bietet Constance an, dass sie mietfrei wohnen kann, wenn sie Paul und Valérie auseinanderbringt.

Wenn das so klingt, als wäre Monsieur Henri kein angenehmer Zeitgenosse, dann trifft es den Nagel auf den Kopf. Mit einer trockenen, direkten Art, die keine Rücksicht auf Gefühle anderer nimmt, hat er sich viele Menschen verprellt und läuft Gefahr, seinen Sohn ebenfalls zu verlieren. Der hat zwar das Steuerberatungsbüro von ihm übernommen, ist aber, obwohl er sich nicht darüber beschwert, mit seinem Leben nicht wirklich zufrieden – ebenso wenig wie sein Vater vor ihm.
Stellt Henri in einem Moment, in dem für Constance einmal mehr der Traum vom Studium, mit dem sie sich und ihrem Vaters beweisen wollte, geplatzt ist, als wäre es das normalste von der Welt fest, dass auch er ein halbes Jahrhundert einer Arbeit nachgegangen ist, die ihn nicht glücklich gemacht hat, trifft es Constance ins Mark. In einer Welt, in der Talentshows und Castingsendungen den Zusehern suggerieren, dass jeder das Leben eines Stars führen kann, sieht die Realität beinahe bedrückend enttäuschend aus: Die wenigsten werden ihren Traumberuf ausüben können.
Nur was ist schlimmer, zu scheitern, oder es gar nicht versucht zu haben?

Constance und Henri sind gleichermaßen desillusioniert, auch wenn sie am Beginn ihres Lebens steht, er einen Großteil bereits gelebt hat. Gerade weil sie von einer beruflichen wie privaten Enttäuschung zur nächsten driftet, bricht sie in Frühstück bei Monsieur Henri das Leben des mürrischen Henri auf und verleiht ihm einen Sinn und Zweck, eine Perspektive. Unbemerkt macht er es sich zur Aufgabe, sie auf den rechten Weg zu bringen. Dass Henris Sohn Paul seinen zweiten Frühling erlebt, als er glaubt, Constance sei an ihm interessiert, ist mehr ein Nebenprodukt, auch wenn es Pauls Weg mit Valérie sehr stark beeinflusst. Sie alle verhalten sich wie Menschen aus Fleisch und Blut, mal dem grauen Alltag ergeben, mal naiv und hoffnungsvoll, oder voller Angst, das Gute in ihrem Leben zu verlieren.

Gerade auf Grund der nüchternen Art und Weise, mit der Henri seine Ansichten kundtut, entwickeln die Situationen einen sarkastischen Humor, der aus der Lebenserfahrung des über Achtzigjährigen entsteht. Dem entgegen findet Regisseur Calbérac Momente, in denen der Blick oder die Körperhaltung Henris zeigen, dass seine Fassade nicht unverwüstlich ist. Das mag alles nicht neu sein und die Erzählung zwischen Constances Privatleben und ihrer Anbandelung wenig zielgerichtet mit Paul hin- und herpendeln, aber dem beizuwohnen ist insbesondere am Ende berührend, wenn man erkennt, dass er trotz allem nur das Beste für seinen Sohn wollte. Oder Henri in seinen eigenen Worten festhält, wie sehr die Zeit mit Constance ihn, gleichwohl man es ihm nicht angesehen haben mag, geprägt hat.


Fazit:
Abseits von realitätsferner Situationskomik zieht Filmemacher Ivan Calbérac den Humor wie die Lebensweisheiten aus dem Alltäglichen. Constance und Paul sind durch Väter geprägt, die ihre eigenen Vorstellungen ihren Kindern so sehr aufzwängen, dass sich diese darunter nie entwickeln konnten. Auch Henri ist von all dem geprägt, was er erlebt hat. Hat dabei nicht jede Generation ein Recht darauf, glücklich zu sein? Und im Zuge dessen ihre eigenen Fehler zu machen?
Henris melancholische Persönlichkeit sowie die Entwicklungen von ihm und Constance machen die Figuren greifbar und Frühstück bei Monsieur Henri für ein ruhiges Publikum zu einem gelungenen, teils sarkastischen Blick auf das Leben selbst. Dass der Film am Ende mehr Wert auf seine Stimmung als auf eine heile Welt setzt, die Figuren weiter ihren Weg gehen, anstatt schon angekommen zu sein, ist dabei nur passend. Und es macht angesichts von Henri Hoffnung, dass gleichgültig wie das Schicksal unsere Persönlichkeit formt, ihr Kern nie verloren geht. Selbst wenn es durch das stachelige Äußere schwieriger wird, ihn zu erkennen.