Der schmale Grat [1998]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 05. Dezember 2004
Genre: Kriegsfilm / Drama

Originaltitel: The Thin Red Line
Laufzeit: 164 min.
Produktionsland: USA / Kanada
Produktionsjahr: 1998
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Terrence Malick
Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Sean Penn, James Caviezel, Elias Koteas, Ben Chaplin, Adrien Brody, John Cusack, Nick Nolte, Woody Harrelson, George Clooney, John C. Reilly, John Travolta, Jared Leto, Dash Mihok


Kurzinhalt:
1942 wird die amerikanische Charlie-Kompanie auf Guadalcanal, eine der Salomoninseln im Südpazifik, beordert, um ein Flugfeld der japanischen Besatzer einzunehmen. Unter der Anweisung von Colonel Tall (Nick Nolte) macht sich Captain Staros (Elias Koteas) mit seinen Männern auf, den grasbedeckten Kamm einzunehmen.
Doch die geschickt platzierten Geschütze der Japaner scheinen unüberwindlich und auf die Charlie-Kompanie wartet ein malerischer Regenwald, in dem jeder auf seine Weise die Schrecken des Krieges verarbeiten muss. Denn auch wenn First Sergeant Welsh (Sean Penn), Corporal Fife (Adrien Brody), Private Bell (Ben Chaplin) und Private Witt (James Caviezel) in derselben Einheit kämpfen, den Erlebnissen muss sich jeder selbst stellen. Dabei zählt für Colonel Tall nur der Sieg, unter welchen Opfern er auch immer erreicht wird.


Kritik:
Als 1997 Regisseur Terrence Malick nach 20 Jahren Abstinenz vom Film in Hollywood für sein neues Projekt wirbt, stehen die Darsteller bei ihm Schlange; viele ansonsten teure Stars treten hier nur in Gastrollen auf und verkörpern Malicks Bemühen, die Schrecken des Zweiten Weltkrieges an Hand einer Kompanie bei ihrem ersten Einsatz im Südpazifik festzuhalten. Doch trotz der insgesamt sieben Oscarnominierungen und der hochkarätigen Besetzung konnte Der schmale Grat keine einzige Trophäe einheimsen, und auch an den Kinokassen hatte das Epos das Nachsehen mit Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan [1998], der sich dem Thema aber auf vollkommen andere Weise annähert.
Während Spielberg den Zuschauer mit einer kleinen Gruppe Soldaten in die Hölle des D-Days an der Normandie-Küste sendet, ihn mit ausgewaschenen Bildern überflutet und einen grausam-dokumentarischen Stil verwendet, um den Zuschauer wie seine Figuren zu brechen, stellt Malick dem grausamen Alltag des Krieges malerische Farben gegenüber, entsetzt angesichts der Grausamkeiten mit herrlichen Landschaftsaufnahmen und einem Bilderreichtum, in dem man versinken könnte. Doch verliert der Autor und Regisseur dennoch nicht die Figuren aus dem Sinn, porträtiert eine Vielzahl von Menschen und ihre Versuche, mit den Schrecken ihrer Erlebnisse fertig zu werden. So vergehen allein 45 Minuten, bis der erste Schuss fällt – für einen Antikriegsfilm fast schon eine unvorstellbar lange Zeit.

Dabei nimmt sich Autor Terrence Malick gerade in den ersten 40 Minuten viel Zeit, die verschiedenen Figuren vorzustellen, die aber im Verlauf des Films allesamt weiter ausgebaut werden; angeführt wird die Kompanie von Colonel Gordon Tall, einem verbitterten Offizier, der auf Guadalcanal seine Chance wittert, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern und dabei die Leben seiner Soldaten zu opfern bereit ist; als Gegensatz dazu ist Captain Staros zu sehen, der sich zunehmend fragt, ob das Ziel das Leben seiner Männer rechtfertigt. Währenddessen klammert sich Jack Bell an die Erinnerung an seine Frau, um seine Erlebnisse zu verarbeiten, wohingegen First Sergeant Welsh trotz seiner Kriegserfahrung immer noch eine Verbindung zu seinen Untergebenen aufbaut, anstatt sie wie viele andere als "Kriegsmaterial" zu sehen. Aber während Welsh an seiner Sorge um die Menschen innerlich zu zerbrechen droht, sieht sich Private Witt als ein Beobachter des Geschehens, doch auch er muss einsehen, dass ihn die Erlebnisse so sehr verändert haben, dass er in das unbeschwerte Leben, das lebendig gewordene Glück, das er erfahren hat, nicht zurückkehren kann.
Basierend auf den Büchern von James Jones, der auch bereits die Vorlage für Der längste Tag [1962] lieferte, zeichnet Malick eine Reihe reifer, differenzierter und unterschiedlicher Charaktere, die er im Verlauf der beinahe drei Stunden Film begleitet und immer näher porträtiert. Dass er dennoch kleinere Figuren weiter voran bringt, spricht für sein Geschick als Regisseur und Autor. Allerdings setzt sein Erzählstil ein ruhiges, erwachsenes Publikum voraus. Zwar handelt das Skript nur von einem überlangen, in mehreren Etappen stattfindenden Angriff auf die japanischen Belagerer auf Guadalcanal, doch sind die Kampfszenen im ersten und letzten drittel rar gesät, dafür stellt Malick dem Zuschauer das Innenleben der Soldaten mittels Off-Kommentaren vor, deckt immer mehr Facetten der Figuren auf und bindet so sehr schnell den Zuschauer an die Filmcharaktere.
Mit hintersinnigen, herausragenden und anspruchsvollen Dialogen, langen Szenenaufbauten und einer Vielzahl an gelungenen, unterschiedlichen Charakterzeichnungen gelingt Terrence Malick das, wo der zweifelsohne geniale Soldat James Ryan Abstriche macht: während Spielbergs Antikriegsfilm nur eine kleine Gruppe von Soldaten porträtiert, fächert Malick sein Drama weiter und brilliert dabei gekonnt.
Einzig die letzten 20 Minuten lassen dahingehend etwas nach und eröffnen dem Zuschauer wenig neue Erkenntnisse.

Auf welch erlesene Garde an Darstellern Malick zurückgreifen kann erkennt man schon daran, dass Männer wie George Clooney, John Cusack oder John Travolta hier nur als Gastdarsteller zu sehen sind. Auch Woody Harrelson, der herausragend spielt, kommt nur sehr kurz vor. Inzwischen bekannter gewordene Akteure wie Thomas Jane und Miranda Otto spielen nur Nebenrollen.
Dafür sind die Hauptrollen nichtsdestoweniger exzellent besetzt; Sean Penn hätte hierfür bereits einen Oscar erhalten sollen, ebenso wie der später mit Die Passion Christi [2004] international bekannt gewordene James Caviezel. Beide Akteure mimen außergewöhnlich gut, beklemmend und faszinierend, verleihen ihren Rollen eine Tiefe, wie man sie kaum für möglich gehalten hätte.
So auch Ben Chaplin, der wie Adrien Brody eine tragische Rolle übernommen hat, beide Darsteller mimen ausgezeichnet, so wie Elias Koteas, der eine der besten Vorstellungen seiner Karriere abliefert.
Besonders sticht auch Nick Nolte heraus, dessen ergreifendes, bisweilen schon Furcht einflößendes Schauspiel lange im Gedächtnis bleibt.
Alle Akteure, seien es nun die japanischen Soldaten, oder aber die US-Kompanie, wurden hervorragend ausgesucht und spielen mit einer Leidenschaft, die ab und an schon beängstigend greifbar wird. Hier gibt es keine schwachen Leistungen.
Doch trotz der beeindruckenden Besetzung haben es zahlreiche Gäste der Produktion nicht in den endgültigen Schnitt geschafft, so hatten Bill Pullman, Gary Oldman, Mickey Rourke und auch Viggo Mortensen Szenen aufgenommen – Billy Bob Thornton hatte außerdem unter Aufsicht des Regisseurs als Begleitung des Films die Sprechrolle aus dem Off aufgenommen, die jedoch dann in der letztendlichen Filmfassung von den Darstellern selbst gesprochen wurde.

Inszenatorisch überrascht Malick angesichts der Kriegsschrecken mit malerischen Landschaftsaufnahmen, herausragender Farbgebung und einer fast schon meditativen Verbindung zwischen Bild und Ton, sowie Musik. Er stellt Welshs resignierter Aussage, dass die Natur selbst grausam sei, mittels der grandiosen, windgepeitschten Grashügel, und der von den Menschen verursachten Schrecken einen ernüchternden, philosophischen und auch strafenden Kontrast gegenüber, der klarer nicht sein könnte.
Optisch gehört Der schmale Grat zu den bestfotografierten Filmen, die sich diesem Thema widmen – dank John Toll, dessen Kameraarbeit mit einer Oscarnominierung belohnt wurde. Für Braveheart [1995] und Legenden der Leidenschaft [1994] konnte er die Trophäe bereits mit nach Hause nehmen.
Malick erweist sich als Meister seines Fachs: Kamera und Schnitt tauchen den Inhalt in Bilder und Szenen, die genial choreografiert sind und trotz der kräftigen Farben die Verzweiflung und die Angst der Personen, ihre Fehler und ihre Erkenntnisse gekonnt zum Ausdruck bringen.

Nachdem er sich mit seinen Actionscores zu The Rock - Fels der Entscheidung [1996] sehr weit von seiner minimalistischen, ruhigen Musik des oscarnominierten Rain Man [1988] entfernt hat, überrascht Hans Zimmer hier mit einer meisterhaften, melancholischen, stimmungsvollen und nervenzerrenden Musik, die in den zahlreichen melanesischen und elektronischen Themen die Stimmung des Films gekonnt einfängt.
Zimmer schrieb zusammen mit John Powell über vier Stunden Musik für den eingangs sechs Stunden langen Director's Cut des Films, ehe Malick das Werk auf unter drei Stunden herunter schnitt. So nahm er auch nur die besten Stücke aus Zimmers Soundtrack und verwob sie mit den fantastischen Bildern zu einem Kunstwerk, das sich kaum in Worte fassen lässt.
Hans Zimmer gelingt mit dem ruhigen, bedächtigen und vorsichtigen Aufbau eine erstklassige Untermalung der Szenen im Film, dabei ist seine Musik stets bewegend aber nie rührselig, auch wenn einen der Sturm auf das Dorf oder Witts letzte Erkenntnis sehr berührt. Zimmer unterstreicht mit seinem facettenreichen Score den Kontrast, den Malick erreichen wollte und entschädigt damit für viele 08/15-Soundtracks, mit denen er seine Fans enttäuscht hat. An Der schmale Grat arbeitete Zimmer immerhin ein halbes Jahr.

Trotz des moderaten Budgets von 50 Millionen Dollar wäre Terrence Malicks Film beinahe gar nicht produziert worden. Das Studio Sony war davon überzeugt, der Film sei zu dem Preis nicht zu realisieren – erst als Twentieth Century Fox einsprang, konnte die Produktion fortgesetzt werden. Hierfür nahm sich der Autor und Regisseur auch Zeit; 100 Tage lang wurde in Australien gedreht, nochmals 24 auf den Salomoninseln und drei in den USA; dabei zerstritt sich der Regisseur mit den beiden Produzenten Robert Michael Geisler und John Roberdeau bereits in der Vorbereitung so sehr, dass er ihnen den Zutritt zum Set versagte. Als sie ankündigten, sie würden der Oscarverleihung beiwohnen, drohte Malick, nicht zu erscheinen; am Ende war keiner der drei anwesend und der Film gewann keine einzige Trophäe, trotz sieben Nominierungen. Immerhin gewann er den Goldenen Bären in Berlin für den besten Film.

Blickt man nach den beinahe drei Stunden auf den Film zurück, ist man zuerst sprachlos. Selten verband ein Regisseur so farbenfrohe, malerische Bilder mit einem ergreifenden, grausamen Hintergrund. Malick stellt dem Zuschauer ein Krieg gegenüber, in dem das Individuum nichts wert ist und nur das Ziel entscheidend. Wie die Soldaten an dieser Kriegsführung zerbrechen, ihre Menschlichkeit verlieren und Verbrechen begehen, die unaussprechlich erscheinen, ist das Thema des Films und wird auf eine Art und Weise vermittelt, wie man es kaum für möglich hält.
Die stillen, persönlichen und realistischen Charakterzeichnungen auf beiden Seiten der Linie sind dabei ebenso überzeugend und fesselnd wie die düstere Tragödie in schillernden Farben. Für ein reifes Publikum ist das ein anderer Ansatz derselben Kernaussage von Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan, dabei ebenso erschütternd, wenn auch schwerer zugänglich.


Fazit:
Terrence Malicks Aufruf ist eine Heerschar erlesener Darsteller gefolgt, die hier in einer Intensität mimen, dass es bisweilen erschreckt. Sie bringen die persönlichen Schicksale ebenso gelungen zum Ausdruck wie die herausragende Optik des Films. Zusammen mit der ergreifenden Musik von Hans Zimmer und der exzellenten, wenn auch ruhigen Dramaturgie ergibt das ein Antikriegsdrama für ein erwachsenes Publikum, für das man sich Zeit nehmen muss, das aber viel mehr Facetten offenbart, als man ihm zunächst zugetraut hätte.
Für manche Zuschauer driftet Der schmale Grat orientierungslos in den verschwenderisch atemberaubenden Bildern – wer jedoch genau hinsieht wird erkennen, dass jene Orientierungslosigkeit gleichzeitig ein Element der Sinnlosigkeit des Krieges und auch eine Reaktion der an ihm zu Grunde gegangenen Menschen auf die Wirren des Schicksals selbst ist.