Der große Crash - Margin Call [2011]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. Oktober 2011
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Margin Call
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2011
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: J.C. Chandor
Musik: Nathan Larson
Darsteller: Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons, Zachary Quinto, Penn Badgley, Simon Baker, Mary McDonnell, Demi Moore, Stanley Tucci, Aasif Mandvi, Ashley Williams, Susan Blackwell


Kurzinhalt:
Überraschend wir der Risiko-Analyst und Abteilungsleiter Eric Dale (Stanley Tucci) eines Morgens in ein Büro zitiert, wo ihm mitgeteilt wird, dass er nach beinahe 20 Jahren im Unternehmen fristlos gekündigt ist. Es seien schwere Zeiten. Das Projekt, an dem er gearbeitet hat, übergibt er dem jungen Angestellten Peter Sullivan (Zachary Quinto). Als dieser sich später am Abend den Inhalten von Dales Arbeit widmet, stößt er auf den Fehler, den Dale schon lange vermutet hat.
Er zieht seinen Kollegen Seth (Penn Badgley) und seinen Vorgesetzten Will (Paul Bettany) hinzu. Innerhalb kürzester Zeit wird die nächsthöhere Führungsebene um Sam Rogers (Kevin Spacey), Jared Cohen (Simon Baker) und Sarah Robertson (Demi Moore) mobilisiert, die sogar den Leiter des Finanzinstituts, John Tuld (Jeremy Irons) mitten in der Nacht alarmieren. Bei einem eilig zusammen berufenen Vorstandstreffen wird diskutiert, wie mit der Situation umzugehen ist. Dabei scheint die einzige Möglichkeit, das Unternehmen zu retten, indem man die wertlosen Papiere an die Kunden abstößt, auch wenn man sie damit in den Ruin treibt. Mehr noch: Dieses Vorhaben wird eine Lawine in Gang setzen, welche sich durch die gesamte Branche ziehen wird. Angesichts dieser Ausmaße sieht sich Tuld Abteilungsleitern gegenüber, welche diese Verantwortung kaum mit ihrem Gewissen vereinbaren können ...


Kritik:
Es fällt schwer, Margin Call zu kategorisieren. Streng genommen ist es kein Drama, auch wenn die Auswirkungen der hier gezeigten Ereignisse dramatische Wendungen im Leben derjenigen zur Folge hatten, die von den Geschäftemachern der Wall Street berührt wurden. Fiktion ist es leider ebenso wenig, auch wenn Autor und Regisseur J.C. Chandor seinen Regieerstling nicht auf Tatsachen basierend ausweist. Am ehesten ist es ein Thriller, denn was über den Zeitraum von 24 Stunden hier besprochen wird, die Entscheidungen, die getroffen werden, gleichen einer bewussten Täuschung an Menschen, die ihr Geld Bankern anvertrauten in dem Glauben, dass es bei ihnen am besten aufgehoben wäre. Dass diese aber nur ihre eigenen Interessen im Sinn haben, und sprichwörtlich über Leichen gehen, um ihren Wohlstand zu schützen, haben die Anleger nicht bedacht. Sie haben daraufhin wie der Großteil der Bevölkerung die Zeche dafür gezahlt. Der große Crash - Margin Call begleitet eine Gruppe Menschen über einen Zeitraum von knapp 24 Stunden am Vorabend des bislang größten Bankencrashs des 21. Jahrhunderts. Beginnend beim Entdecken eines verheerenden Fehlers im System, auf Grund dessen eine Menge Geld im Umlauf ist, auch wenn die Zahlen mit der Realität nichts zu tun haben, bis hin zu einem Treffen des Vorstands jenes Finanzinstituts, der beschließt, seine Anleger bewusst zu täuschen, um die wertlosen Papiere abzustoßen. Dieser Ausverkauf hat zur Folge, dass unzählige Käufer am Ende mit buchstäblich wertlos bedrucktem Papier dastehen, während die verantwortliche Firma auf ihre Kosten sogar noch einen millionenschweren Gewinn gemacht hat. Der Werdegang der Finanzkrise, die in den Jahren 2007 und 2008 so viele Menschen Heim, Haus und Arbeit gekostet hat, wurde seither in zahllosen Dokumentationen beleuchtet und nicht zuletzt der zahnlose Wall Street [1987]-Nachfolger Wall Street - Geld schläft nicht [2010] versuchte, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Selten jedoch gelang dies auf so intime Art und Weise wie hier, spielt das Gezeigte doch ausschließlich innerhalb dieses einen Finanzinstituts.

Es beginnt am Morgen in einer nicht benannten Wall Street-Firma, in welcher der Leiter der Risiko-Analyse Eric Dale (Stanley Tucci) nach 19 Jahren entlassen wird. Er übergibt beim Gehen das Projekt, an dem er zuletzt gearbeitet hat, an seinen Protegé Peter Sullivan (Zachary Quinto, der auch mitproduzierte) mit der Warnung, er solle vorsichtig sein. Am Abend widmet sich Sullivan dem USB-Stick und vollendet Dales Arbeit. Was er dabei entdeckt, könnte den Ruin der Firma bedeuten, deren Zahlen auf einer fehlerhaften Gleichung basieren. Noch in derselben Nacht informiert Sullivan seine Kollegen und seinen Chef Emerson. Der weiht seinen Vorgesetzten Rogers sein. In wenigen Stunden zieht die Angelegenheit immer größere Kreise, bis hin zum Vorstand, der mitten in der Nacht zusammentritt, und dem Leiter der Firma, John Tuld. Auch wenn allen klar ist, was Sullivans/Dales Entdeckung bedeutet, die wenigsten haben die genauen Hintergründe verstanden und insbesondere die Vorgesetzten lassen sich die Zusammenhänge in so einfachen Worten wie möglich erklären – und das nicht einmal unseretwegen, sondern um ihres eigenen Verständnisses wegen. Eines ist klar: Wenn jemand außerhalb der Firma dahinter kommt, stünde sie vor dem Ruin. Es gilt, eine Lösung zu finden und Tuld beginnt fortan, Rogers und die anderen auf die einzig mögliche Taktik einzuschwören. Dabei sollen alle Papiere verkauft werden, welche so stark überbewertet in die Bücher eingeflossen sind, dass für die Buchhalter eins und eins zusammengezählt, nicht mehr zwei ergibt.

Margin Call besitzt selbst trotz der ruhig geführten Dialoge – man hört kaum jemanden laut schreien – eine Unrast, die ein aufmerksames Publikum ansteckt. Nicht nur, dass sich die Anspannung der Charaktere überträgt, auch die Intensität der Situation, die Dringlichkeit der Gespräche ist stets spürbar. Filmemacher Chandorf verurteilt jene Menschen dabei nicht, die mit ihren Entscheidungen das Leben von Millionen geprägt haben (und immer noch prägen). Auch verteidigt er ihre Absichten nicht. Er porträtiert die Geschehnisse jenes Tages, an dem ein Finanzinstitut, um sich selbst zu retten, einen Stein ins Rollen gebracht hat, der nicht nur die eigenen Anleger, sondern sogar andere Konzerne mit ins Verderben gerissen hat. Die Nüchternheit, die Distanz, mit der jene Figuren agieren scheint nicht unerwartet und wohl in einer Welt, in der Geld stärker bewertet wird, als das eigene Gewissen, eine Notwendigkeit. Man nehme hierzu Sullivans Kollegen Seth Bregman als Beispiel: Er ist während der gesamten Zeit nur an sich selbst interessiert. Was aus seinem Geld wird, wie seine Zukunft aussieht. In seinen eigenen Worten schubst er nur Zahlen auf einem Bildschirm hin und her; vermutlich bedenkt er selbst dabei nicht, dass dahinter letztlich Menschen stehen, mitunter sogar Familien.
Es mag sein, dass Margin Call wie viele Dokumentationen der letzten Zeit die Thematik sehr einseitig beleuchtet und bestimmte Hintergründe und Zusammenhänge gar ganz verschweigt. Doch zeigt der Film die Entscheidungsträger nicht als seelenlose Monster oder bösartige Individuen. Es sind vielmehr Menschen mit einem ausgeprägten Überlebensinstinkt, die zuerst an ihren eigenen Vorteil denken. Wahrscheinlich hätte sie dies bereits von dem Beruf disqualifizieren sollen.


Fazit:
Man könnte vermuten, Der große Crash - Margin Call wäre eine Nacherzählung tatsächlicher Ereignisse. Nicht nur durch den detaillierten Ablauf, auch die Charaktere scheinen glaubwürdig. Letztendlich mag es sich durchaus so zugetragen haben, es spielt auch keine große Rolle. Wichtig ist, dass Regisseur J.C. Chandor die Motivation jener Figuren treffend wiedergibt. Wenn der Firmenleiter Tuld meint, es wäre schließlich nur Geld, um das es geht, trifft er dabei genau ins Schwarze. Nur hat es für ihn eine andere Bedeutung als für die vielen Trader, die es anderen Menschen unter falschen Voraussetzungen andrehen müssen (hierfür wurden sie genügend unter Druck gesetzt).
Beinahe schon dokumentarisch gefilmt veredelt ein exzellenter Cast bestehend aus Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons, Simon Baker, Demi Moore und Stanley Tucci das stellenweise beklemmende und gleichzeitig enthüllende Thrillerdrama. Wie weit absehbar diese Finanzlawine dabei für die gezeigten Insider gewesen ist, ist ebenso traurig, wie wenn eine Figur zugibt, dass sich das Gezeigte immer und immer wieder wiederholt. Wir scheinen daraus einfach nicht lernen zu wollen.