Patrick Lee: "Die Pforte" [2009]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. August 2014
Autor: Patrick Lee

Genre: Thriller / Action / Science Fiction

Originaltitel: The Breach
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 372 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2009
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2010
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-06-158445-9


Kurzinhalt:
Vor einem Jahr wurde Travis Chase aus dem Gefängnis entlassen. Nun steht er an einem Scheideweg: Entweder er fängt einen Job bei seinem Bruder Jeff an, der an einem zukunftsweisenden Computer arbeitet, oder aber er geht nach Alaska, um fernab von allen Menschen, die ihn kennen, ein neues Leben zu beginnen. Auf seinem Trip zu Fuß durch die schneebedeckten Berge, entdeckt er das Wrack eines abgestürzten Flugzeuges. Nicht nur, dass weit und breit kein Rettungstrupp zu sehen ist, als er sich die Unglücksstelle genauer ansieht, erkennt er, dass an Bord der umgerüsteten 747 die First Lady saß. Sie wurde ermordet, ebenso alle übrigen Passagiere.
Ganz in der Nähe entdeckt Travis eine Gruppe bis an die Zähne bewaffnete Männer, die zwei Geiseln in ihrer Gewalt haben. Darunter Paige Campbell, die Mitglied einer Geheimorganisation ist. Als Travis einschreitet, um ihre Tortur zu beenden, ahnt er nicht, dass dies nicht der erste Schachzug in einer seit Jahren vorbereiteten Schachpartie ist. Auf dem Spiel steht nichts weniger als das Schicksal der Welt ...


Kritik:
Es wirkt ein wenig, als wolle Patrick Lee mit seinem Erstlingsroman Die Pforte stilistisch eine Brücke schlagen zwischen Michael Crichton und Dan Brown. Während er seine Geschichte ein wenig wie ein Technothriller im Stile von Crichton aufbaut, nutzt er die von Brown bekannte Erzählweise, um das Tempo immer weiter in die Höhe zu treiben. Letzteres gelingt ihm überaus gut, so dass die Seiten nur so dahinfliegen. Aber auch wenn die Story bekannte Elemente genügend abwandelt, um zu unterhalten, was ihr an Raffinesse fehlt, versucht Lee durch die Gewalt aufzuwiegen. Diese Rechnung geht nicht auf.

Ebenso wenig sein Konzept der Hauptfigur Travis Chase, der Lesern noch in zwei weiteren Büchern begegnen wird. Chase ist, auch wenn man lange Zeit etwas anderes vermuten würde, kein Held. Wem die vielen Andeutungen im Laufe des Romans noch nicht ausreichen, der wird vielleicht durch seine letzte Handlung zu dieser Erkenntnis gelangen. Als ehemaliger Polizist mit einer düsteren Vergangenheit bietet er dabei genügend Zündstoff für eine vielschichtige Figur, nur dass Patrick Lee hier seinen gesamten Werdegang bereits offenlegt. Als Held sollte er besser sein als alle anderen, insbesondere als die Schurken. Doch liest man später, wie er wehrlose Söldner massakriert, statt sie festzubinden und so unschädlich zu machen, oder bereits ohnmächtigen Widersachern den Todesstoß versetzt, sollte jedem Leser mit moralischem Anspruch die Lust am Weiterlesen vergehen.

Da hilft es auch nicht, dass Chase zuvor in der schneebedeckten Einöde Alaskas eine abgestürzte 747 fand, deren Crew grausam hingerichtet wurde, kurz darauf die gefolterte Paige Campbell von ihren Peinigern rettet und sie 15 Meilen zur nächsten Siedlung trägt. Alles Gute, das er tat, verblasst angesichts dessen, was ihm die zweite Romanhälfte von Die Pforte zuschreibt.
Der Titel des Romans bezieht sich – ohne zu viel zu verraten – auf eine Anomalie, die das Ergebnis eines Experiments ist. Sie und ihre Errungenschaften zu beschützen, hat sich Campbells Organisation, genannt Tangent, zum Ziel gesetzt. Dabei haben sie es mit einem Widersacher zu tun, der ihre Reihen nicht nur wie seine Westentasche kennt, sondern auch im Besitzt eines Artefakts ist, mit dessen Hilfe er die Aktionen von Tangent minutiös vorhersehen kann.

Dieser Science Fiction-Anteil erinnert in einigen Momenten durchaus an die Technothriller, die Michael Crichton formte wie kein anderer Autor. Doch fehlt es an den weitreichenden, glaubhaften Erklärungen, die (wenn sie kommen) allenfalls oberflächlich sind. Es ist, als hätte sich Crichton in Dino Park [1990] darauf konzentriert zu sagen, man habe Dinosaurier-DNS gefunden und im Labor daraus Dinosaurier gemacht. Stattdessen erörtert Crichton Gen-Sequenzierung und erweckt in seinen Beschreibungen den Eindruck, als habe er die funktionsfähigen Labore mit eigenen Augen gesehen. Dieser greifbare Aspekt gelingt Patrick Lee leider nicht in Bezug auf die Technik, wohl aber was die geschilderte Gewalt angeht.

Sei es mit Folterszenarien, deren Aufbau und Funktion geschildert wird, oder aber die zugegeben Furcht einflößende Belagerung eines neunstöckigen Gebäudes in Zürich. So alptraumhaft hier allein die Grundidee ist, so erschreckend greifbar seine Schilderung, wie grauenerregend sich die Situation für die Figuren entwickelt.
Dagegen enttäuscht das Finale ein wenig, das erneut eine klaustrophobische Grundidee aufgreift, doch anstatt auf mehreren Ebenen die Schlinge immer enger zu ziehen, entwickelt Patrick Lee das Geschehen geradeheraus, ohne dass die Charaktere improvisieren müssten.

Als Mainstream-Thriller mit Science Fiction-Elementen gestaltet sich Die Pforte auch im Original sprachlich nicht sehr anspruchsvoll, bietet somit auch denjenigen einen gelungenen Einstieg, die dem allgemein gebräuchlichen Wortschatz mächtig sind. Vor allem ermöglicht der Roman so ein schnelles und überaus kurzweiliges Lesevergnügen.


Fazit:
Das Stilmittel, die Kapitel mit einem prägnanten Cliffhanger, meist im allerletzten Satz, enden zu lassen, animiert ungemein zum Weiterlesen, so manipulativ es auch sein mag. Dadurch entwickelt Die Pforte ein sehr hohes Tempo, das der Autor bis zum Schluss aufrechterhält. Es gelingt ihm damit auch, über die trotz allen Traumata einfach strukturierten Figuren hinweg zu täuschen. Doch so einfallsreich manche Momente im Buch auch sein mögen, die wiederkehrend explizite Gewaltschilderung, auch ausgehend vom eigentlichen Helden der Geschichte, stören das Lesevergnügen nachhaltig.
Dass Patrick Lees Erstling trotz allem Fans des Genres zu empfehlen ist, mache ich an den guten Einfällen der Geschichte fest, die mich unter anderem beim Rückblick ins Jahr 2001 unerwartet getroffen haben. Auch seine Auflösung, so abstrus sie beim genaueren Überlegen ist, weckt Lust auf mehr. Ebenso wie die spürbar elektrisierende Spannung, mit der er seine Leser von einer Seite zur nächsten hetzt. Es bleibt zu hoffen, dass er zukünftig sein Finale komplexer strukturiert – und auf die unnötige Brutalität verzichtet. Dann könnte man auch die filmreifen Actionszenen besser genießen.