The Northman [2022]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. April 2022
Genre: Action / Drama

Originaltitel: The Northman
Laufzeit: 136 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Robert Eggers
Musik: Robin Carolan, Sebastian Gainsborough
Besetzung: Alexander Skarsgård, Claes Bang, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Björk, Willem Dafoe, Kate Dickie, Gustav Lindh, Ingvar Eggert Sigurðsson, Murray McArthur, Ian Whyte, Katie Pattinson, Ian Gerard Whyte


Kurzinhalt:

Im Jahr 895 kehrt der Wikingerkönig Aurvandill (Ethan Hawke) nach einem Jahr in sein Königreich zurück. Dort warten neben seiner Frau Gudrún (Nicole Kidman) auch sein junger Sohn Amleth auf ihn. Doch Aurvandill ist verletzt und sein Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) nutzt die Gelegenheit, um den König zu töten und das Königreich nebst Gudrún an sich zu reißen. Amleth sollte ebenfalls getötet werden, kann jedoch entkommen. Viele Jahre später, nach einem Überfall auf ein Dorf im Land der Rus, an dem er als großer Krieger beteiligt ist, wird Amleth (Alexander Skarsgård) in einer Vision an sein Versprechen erinnert, seinen Vater zu rächen, seine Mutter zu retten und Fjölnir zu töten. Der wurde inzwischen nach Island vertrieben, mit Gudrún und seinen zwei Söhnen. So gibt sich Amleth selbst als Sklave aus, um Fjölnir zu finden und sich an ihm zu rächen. Auf dem Weg zu seinem Schicksal trifft er auf die Hexe Olga (Anya Taylor-Joy), die für ihn mehr als eine Verbündete wird. Doch auf seinem Pfad der Rache muss sich Amleth entscheiden, ob er der Zukunft entgegengehen, oder an der Vergangenheit festhalten will …


Kritik:
Wenn sich das Publikum bei Robert Eggers’ The Northman womöglich bei nichts einig sein wird, dann dass die düstere Geschichte das intensivste Filmerlebnis des bisherigen Kinojahres darstellt. Ob es diesbezüglich noch übertroffen wird, darf wenigstens angezweifelt werden. Gekleidet in raue Bilder und mit einer körperlich spürbar geforderten Besetzung veredelt, erzählt der Filmemacher eine kompromisslose Wikingergeschichte, wie man sie so noch nicht gesehen hat. So eindrucksvoll das aus vielerlei Gründen ist, zugänglich ist es kaum.

Wobei man sich zugegebenermaßen bei The Northman merklich schneller zurechtfindet als beispielsweise bei Eggers’ Der Leuchtturm [2019], was für sich genommen jedoch wenig aussagekräftig ist. Sein jüngstes Werk erzählt die Geschichte des Wikingerprinzen Amleth, dessen Vater Aurvandill zu Beginn mit neuen Schätzen und Sklaven von einem ein Jahr dauernden Raubzug in sein Königreich im Norden zurückkehrt. Doch er ist verwundet und will an sich seinen Sohn auf die Thronfolge vorbereiten, als er von seinem Halbbruder Fjölnir ermordet wird, der auch Amleths Mutter Gudrún entführt. Amleth kann fliehen und schwört Rache für seinen Vater, seine Mutter zu retten und Fjölnir zu töten. Viele Jahre später ist aus Amleth selbst ein Krieger geworden, der seinen Schwur beinahe vergessen hat, bis ihm nach der Eroberung eines Dorfes eine Vision erscheint. Als er erfährt, dass Menschen, die er hier mitgeholfen hat zu versklaven, an Fjölnir verkauft werden, der inzwischen mit seiner Frau und seinen Söhnen nach Island geflohen ist, gibt sich Amleth selbst als Sklave aus und begibt sich auf einen Pfad der Rache. Dabei trifft er auf die Hexe Olga, die ebenfalls versklavt wurde.

Anstatt Fjölnir direkt zu ermorden und seine Mutter zu befreien, nachdem er in dessen Ländereien angekommen ist, folgt Amleth dem Weg, der ihm in Visionen offenbart wurde. Dafür muss er unter anderem ein bestimmtes Schwert finden und weiß, dass er sich mit seinem Onkel an den Toren der Hölle treffen wird. The Northman ist durchsetzt von einer Mystik, die nicht nur in Verzierungen, Ritualen oder Dialogen angedeutet, sondern in der Regel visuell dargestellt wird. Dies mag im ersten Moment ein Widerspruch zu der sehr körperlichen Gewalt darstellen, die hier gezeigt wird, tatsächlich beraubt es diese Kultur lediglich der verklärenden Nostalgie. Geprägt vom Glauben an Schicksal und Götter, wähnen sich die Figuren hier stets im Recht, behandeln andere Menschen wie niedere Geschöpfe und von Männern geprägt, steht deren Gefühl von Ehre, ihr Bedürfnis nach Rache über den Wünschen der Frauen. So will der verletzte Aurvandill beispielsweise im Kampf durch das Schwert sterben, um nach Valhall ins Jenseits zu kommen. Diese Prägung führt in der Erzählung unter anderem zu einer Konfrontation von zwei Alpha-Männern, die sich splitternackt vor dem Hintergrund einer der zerstörerischsten Naturgewalten unserer Erde duellieren. Eine treffendere Symbolik kann man sich kaum vorstellen – inklusive des Ausgangs des Gefechts.

Diese Bildgewalt ist einer der Gründe, weshalb The Northman ein solch filmisches Erlebnis ist. Die Gewalt wird zum Teil mit einer Vehemenz dargestellt, dass sich die Bedeutung des Gesehenen erst im Nachhinein erschließt. Der Sturm auf das Dorf zu Beginn besitzt eine Dynamik und eine Intensität, die mit Händen zu greifen ist. Dem gegenüber stehen Visionen, die wie aus einer anderen Welt scheinen, sowie eine unberührt raue Schönheit der Landschaft. Ein weiterer Teil des Erlebnisses ist die Akustik, angefangen von der oftmals einschüchternd dröhnenden Musik, die unschätzbar zur Atmosphäre beiträgt. Aber sei es, wenn sich die Wikinger vor der Schlacht in Zeremonien in wilde Tiere verwandeln wollen, oder wenn Amleth oder andere Figuren in schier nicht enden wollenden Einstellungen all ihre Aggressionen und Kraft in die Kamera brüllen, die schiere Lautstärke verleiht diesen Momenten etwas Einschüchterndes. Hinzu kommen zahlreiche untertitelte Passagen, wobei nie deutlich wird, ob hier eine andere Sprache gesprochen werden soll als diejenige, die Amleth und die übrigen sprechen, oder nicht.

The Northman zeigt die grenzenlose Brutalität und Grausamkeit jener Kultur und schildert sie doch als traditionsverbunden und facettenreich. Eine wirkliche Bedeutung, Ursache und Wirkung dieser Gewalt, wird erst zum Ende hin deutlich, aber sie erfüllt keinen Selbstzweck. Die Optik ist dabei geradezu berauschend mit vielen sehr langen Einstellungen, Choreographien der Kämpfe, die einen mitfiebern lassen und die für die Besetzung zweifellos eine Herausforderung gewesen sein müssen. Alexander Skarsgårds Intensität als Amleth ist beängstigend, Claes Bang und Nicole Kidman bringen die Undurchschaubarkeit ihrer Figuren ebenso packend zur Geltung und Anya Taylor-Joy beweist ein weiteres Mal in einer tollen Darbietung ihre Wandlungsfähigkeit. Sie alle prägen diese Erzählung, die authentisch erscheint und doch lyrisch, was durch die Unterteilung in die einzelnen Kapitel unterstrichen wird. Dabei strotzt die Leinwand förmlich vor testosterongeladener Männlichkeit. Doch so sehr diese Darstellung von Stärke Respekt abringt, die zerstörerischen Schattenseiten kommen dabei ebenso zum Vorschein und die Geschichtsbücher zeugen davon, wohin Kulturen führen, die davon geprägt sind.


Fazit:
Geradezu unnachgiebig fängt Regisseur Robert Eggers das Geschehen dieser nordischen Völker mehr als tausend Jahre vor unserer Zeit ein. Er versieht die Geschichte mit viel Mystik, Visionen, Prophezeiungen und einer Symbolik, die sich auch in den Bildern wiederfindet. Die Optik insgesamt ist ein wahres Fest, die langen Einstellungen so überwältigend wie die Naturaufnahmen oder die grausame Gewalt. Dies wird verstärkt durch die Intensität der Figuren, allen voran Amleth, wobei die gesamte Besetzung eine wahre Tour de Force zeigt. Atmosphärisch dicht, wirkt die Erzählung phasenweise doch länger, als sie sein müsste und nimmt einige Umwege, die am Ende die Figuren kaum weiter bringen. Dass sich bestimmte Zusammenhänge zudem nicht erschließen, ist trotz der Bildersprache schade und so intensiv das Filmerlebnis ist, es ist weder zugänglich, noch wirklich unterhaltsam und das Schicksal der Figuren nur bedingt mitreißend. Aber ungeachtet dieser Schwächen ist The Northman als mit Leben gefüllte Wikingersage abseits der verklärenden Vorstellungen in vielerlei Hinsicht eine Wucht. Wenn auch nur für ein bestimmtes Publikum.