Nobody [2021]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 23. Juni 2021
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Nobody
Laufzeit: 92 min.
Produktionsland: USA / Japan
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Ilya Naishuller
Musik: David Buckley
Besetzung: Bob Odenkirk, Aleksey Serebryakov, Connie Nielsen, Christopher Lloyd, Michael Ironside, Colin Salmon, RZA, Billy MacLellan, Araya Mengesha, Gage Munroe, Paisley Cadorath, Aleksandr Pal, Humberly González, Edsson Morales


Kurzinhalt:

Seit einer gefühlten Ewigkeit ist für den zweifachen Familienvater Hutch Mansell (Bob Odenkirk) jede Woche wie die Woche zuvor. Doch sein monotoner Alltag bestehend aus einem routinierten Arbeits- und Familienleben wird jäh durchbrochen, als zwei Einbrecher in sein Haus eindringen. Er könnte sich zwar wehren, doch er gibt nach. Bis seine Tochter Abby (Paisley Cadorath) später glaubt, dass ihr Armband von den Einbrechern gestohlen wurde. Dann macht sich Hutch, ohne sich von seiner Frau Becca (Connie Nielsen) oder seinem Sohn Blake (Gage Munroe) zu verabschieden, auf die Suche nach den Eindringlingen. Zugute kommt ihm dabei, dass er nicht immer ein Büroangestellter war und über Fertigkeiten verfügt, die man bei ihm nicht vermuten würde. Als er sie einsetzt, verletzt er den Bruder des brutalen russischen Gangsters Yulian Kuznetsov (Aleksey Serebryakov), der daraufhin eine wahre Armee in Bewegung setzt, Hutch zu fassen …


Kritik:
Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Ilya Naishullers Nobody und anderen, bekannten Action-Franchises. Das mag unter anderem daran liegen, dass Drehbuchautor Derek Kolstad bei der John Wick-Reihe mitgeschrieben hat. Worin sich dieser Film hier unterscheidet, ist der persönlichere Ansatzpunkt, der lange Zeit dafür sorgt, dass man gebannt zusieht, wohin sich die Geschichte entwickelt und ob der Titel gebende Bob Odenkirk einen Ausweg aus dem Schlamassel findet, den er sich selbst eingebrockt hat. Ein wenig schade ist dabei nur, dass das letzte Drittel spürbar hiervon abweicht.

Nobody beginnt mit einer Collage, die die unspektakuläre wöchentliche Routine des Familienvaters Hutch Mansell zeigt. Wie er jeden Morgen und jeden Abend mit seiner Familie verbringt, Sport treibt, tagsüber im Büro der kleinen Firma seines Schwiegervaters und seines Schwagers verbringt und jeden Dienstag vergisst, den Müll rauszubringen. Der Alltag hat sein Leben derart eingenommen, dass im Ehebett eine buchstäbliche Barriere zwischen ihm und seiner Frau Becca errichtet wurde. Dass sich das ändern wird, sieht man zu Beginn, wenn Hutch blutüberströmt in einem Verhörzimmer sitzt. Dies beginnt, wenn sein monotoner Alltag eines Montagnachts gestört wird, als ein maskiertes Paar in sein Haus eindringt. Obwohl sein Sohn bei dem Überfall mit einer Waffe bedroht wird, schlägt Hutch nicht mit dem Golfschläger zu, den er in dem Moment in der Hand hält. Wie viel Zurückhaltung ihn das kostet, kann man sehen und er würde all das auch auf sich bewenden lassen, würde seine Tochter nicht glauben, dass die Einbrecher ihr Kittycat-Armband gestohlen haben. So macht sich Hutch auf die Suche nach dem Ursprung eines Tattoos, das er bei der Angreiferin gesehen hat und wer denkt, dass dies nicht viel mehr als ein billiger Vorwand ist, die Geschichte überhaupt in Gang zu bringen, hat vollkommen recht. Es ist ein ebenso hanebüchener Vorwand, wie wenn John Wick in seinem ersten Film in Inferno veranstaltet, um den Tod seines Hundes zu rächen.

In gewisser Weise nimmt Filmemacher Naishuller diesem Vorwurf den Wind aus den Segeln, wenn Hutch die Einbrecher tatsächlich aufspürt und einen Blick über seinen Tellerrand wirft. Doch der Abend führt ihn auch in einen Bus, in dem er sich einem halben Dutzend Angreifer stellt und dabei einen jungen Mann krankenhausreif schlägt, dessen Bruder der tanzende und singende, russische Gangster Yulian ist. Yulian tötet sogar seine eigenen Geschäftspartner vor Publikum in seiner Diskothek auf möglichst brutale Weise, nur um seine Entschlossenheit zu demonstrieren. Oder, um dem Publikum zu zeigen, dass er sehr, sehr böse ist. Immerhin steht Hutch mit seiner gewaltbereiten Einstellung dann nicht mehr so offensichtlich schlecht da.
Sein Kampf im Bus ist dabei das unumwundene Highlight von Nobody. Die perfekt choreografierte Sequenz ist derart brutal und so unmittelbar dicht an den Figuren, dass jeder Schlag, jeder Hieb und jeder Stich das Publikum mitreißt. Die intensivste Actionsequenz, die seit langem auf der Leinwand zu sehen war, besticht nicht zuletzt dadurch, dass der beinahe 60jährige Bob Odenkirk die Stunts offenkundig selbst durchführt. Es ist schlicht beeindruckend.

Dass Yulian Rache an Hutch schwört und ihm seine ganze Privatarmee auf den Hals hetzt ist, ist kein Wunder und an sich würde das auch schon ausreichen, um den weiteren Verlauf des Films zu erzählen, doch streut Nobody mit dem „Obshak“ und Hutchs Vergangenheit weitere Elemente ein, die einerseits dazu dienen, das filmische Universum weiter auszufüllen, aber in ersterem Fall an sich ein zu interessanter Einfall sind, als dass er so schnell abgehandelt werden sollte. Ohne zu viel zu verraten, handelt es sich dabei um eine riesige Menge Bargeld mit Verbindungen ins Verbrechermilieu. So gerät der Mittelteil des Thrillers zwar äußerst kurzweilig, doch viele Ideen und Figuren, wie Yulians Gehilfin, werden zu schnell aus den Augen verloren. Dafür steuert die Story auf ein Finale zu, das inhaltlich stark an The Equalizer [2014] erinnert, oder eine kompromisslose Version von Kevin - Allein zu Haus [1990] für Erwachsene. Das Problematische daran ist, dass es zu viele Widersacher in zu kurzer Zeit sind, derer sich Hutch mit Unterstützung nach einem ähnlichen Muster entledigt, so dass die letzten 25 Minuten mehr an ein Videospiel erinnern, denn an die Geschichte, die zuvor erzählt wurde.

Die wartete neben viel Action auch mit ruhigen Momenten auf, wie wenn Hutch zu seiner Frau sagt, „weißt Du noch, wer wir mal waren? Ich schon.“. Von dieser persönlichen Beziehung zu den Figuren löst sich Nobody leider zusehends. Doch das bedeutet nicht, dass ein erwachsenes Publikum sich hier nicht gut unterhalten lassen kann. Dies gelingt Ilya Naishuller gerade auf Grund der direkten und teils brutalen Umsetzung in der ersten Hälfte nur so gut, dass das letzte Drittel spürbar weniger davon bietet.


Fazit:
Auch wenn die Parallelen der Story und des aufgebauten Universums zu den John Wick-Filmen unübersehbar sind, anstatt eine Hauptfigur zu etablieren, die nichts umhauen kann und deren Namen überall für Ehrfurcht sorgt, ist Hutch Mansell augenscheinlich ein Niemand. Dafür aber ein Stehaufmännchen, was recht schnell deutlich wird. Nach seinem Spielfilmregiedebüt Hardcore [2015] präsentiert Ilya Naishuller hier handwerklich einfallsreich und erstklassig umgesetzte Actionmomente. Interessante Perspektiven und Zeitlupen verdeutlichen, wie viel Choreografie in die einzelnen Szenen geflossen ist. Die exzessive Gewaltdarstellung mutet zum Ende hin an ein regelrechtes Gemetzel an und das nicht nur, weil Hutch viel einstecken muss. Die hervorragende, augenzwinkernde Musikauswahl, bei der selbst Bob Odenkirk scheinbar schmunzeln muss, wenn sich seiner Filmfigur die Möglichkeit bietet, Dampf abzulassen, unterstreicht, dass die teils sehr brutale Umsetzung mit Augenzwinkern zu verstehen ist. Auch wenn Nebendarsteller wie Christopher Lloyd schlicht klasse sind, Bob Odenkirk ist eine Wucht und für die Rolle des unscheinbaren Jedermanns, in dem ein Vulkan brodelt, perfekt besetzt. Die unerwartete Kraft und Ausdauer, dass man ihm alle Aspekte dieser Figur ohne Widerrede abnimmt, ist schlicht bemerkenswert. Für ein erwachsenes Publikum, das bleihaltige, witzige Unterhaltung als solche genießen kann, ist der erstaunlich leichtfüßige Nobody einer der besten Vertreter des Genres seit Jahren.