Der Staatsfeind Nr. 1 [1998]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. Mai 2021
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Enemy of the State
Laufzeit: 132 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1998
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Tony Scott
Musik: Harry Gregson-Williams, Trevor Rabin
Besetzung: Will Smith, Gene Hackman, Jon Voight, Lisa Bonet, Regina King, Stuart Wilson, Laura Cayouette, Loren Dean, Barry Pepper, Ian Hart, Jake Busey, Scott Caan, Jason Lee, Gabriel Byrne, James Le Gros, Dan Butler, Jack Black, Jamie Kennedy


Kurzinhalt:

Beim Weihnachtsshopping begegnet Anwalt Robert Dean (Will Smith) Daniel Zavitz (Jason Lee), kurz bevor dieser einen tödlichen Unfall erleidet. Bei der Begegnung konnte Zavitz Robert unbemerkt eine Aufnahme zustecken, die den hochrangigen Mitarbeiter des Geheimdienstes NSA, Thomas Brian Reynolds (Jon Voight), im Zusammenhang mit dem Mord an dem Republikanischen Kongressvorsitzenden zeigt. Letzterer hatte bis zuletzt ein neues Überwachungsgesetz verhindert, das Reynolds unbedingt verabschiedet sehen möchte. Auf der Suche nach der Aufnahme kommen Reynolds’ Männer schließlich Robert Dean auf die Spur und setzen alles daran, den Ruf des Familienvaters zu zerstören. Über Rachel Banks (Lisa Bonet) versucht Dean, den Spezialisten Brill (Gene Hackman) ausfindig zu machen, in der Hoffnung, dass dieser ihm sagen kann, weshalb sein Leben auf den Kopf gestellt wird. Dabei zieht sich das Netz, das Reynolds ausgeworfen hat, immer enger um den nichts ahnenden Robert …


Kritik:
Mit Der Staatsfeind Nr. 1 greift Produzent Jerry Bruckheimer ein Thema auf, das im Jahr 1998 aktueller kaum hätte sein können und das nur wenige Jahre später von der Realität eingeholt werden sollte. Auch aus heutiger Sicht ist der Actionthriller um die Überwachungs- und Manipulationsmöglichkeiten in einer vernetzten Welt nicht weniger treffend und daher erstaunlich gut gealtert. Regisseur Tony Scott entzündet ein Adrenalinfeuerwerk, das lange mitreißt, aber zusehends der eigenen Hektik zum Opfer fällt.

Die Geschichte beginnt mit einem Attentat auf den Republikanischen Kongressvorsitzenden, der einem neu geplanten Überwachungsgesetz ablehnend gegenübersteht. Thomas Brian Reynolds, Abteilungsleiter des US-Geheimdienstes NSA, ist für das Attentat verantwortlich, nachdem er erfolglos versuchte, den Vorsitzenden umzustimmen. Nun steht der geplanten Gesetzeseinführung im Grunde nichts im Wege, bis ein Video des Mordes aus einer Wildtierkamera auftaucht. Dieses findet seinen Weg in den Besitz von Arbeitsrechtsanwalt Robert Dean, der nicht einmal erahnt, was ihm zugesteckt wurde. Daraufhin setzt Reynolds seine Mitarbeiter auf Robert an, die sich daran machen, seine Glaubwürdigkeit zu zerstören, solange er die Videoaufnahme nicht herausgibt.
Was im ersten Moment beinahe trocken und zäh klingt, ist von Beginn an in einem geradezu halsbrecherischen Tempo gefilmt. Eine durchschnittliche Einstellung dauert bei Der Staatsfeind Nr. 1 weniger als zweieinhalb Sekunden. In den vielen actionreichen Momenten zieht das Schnitttempo außerdem merklich an. Versetzt mit vielen Satellitenaufnahmen über Kopf, die das Geschehen aus Sicht der Überwacher zeigen, Aufnahmen aus Überwachungskameras und Bildern von Computermonitoren, auf denen Informationen der Geheimagenten zu sehen sind, die nicht nur Roberts Leben in Echtzeit durchleuchten, sondern auch ändern, ist Scotts Stil wenigstens fordernd, wenn nicht gar überfordernd.

Dabei nehmen diese Stilmittel spürbar zu, je dichter die NSA Robert kommt. Man muss dem Filmemacher jedoch zugutehalten, dass die Verfolgungsjagden und Actionszenen trotz ihrer schnellen Inszenierung, den verkippten Perspektiven und den rasanten Schnittfolgen nie derart unübersichtlich geraten, als dass das Publikum nicht einschätzen könnte, wer sich wo in der Szenerie befindet. Gleichzeitig behält sich die Geschichte trotz ihrer ernsten Thematik und den stellenweise todernsten Momenten eine gewisse Lockerheit, wie sie oft in Bruckheimer-Produktionen jener Zeit zu finden war. Die amüsanten Einzeiler und schnippischen Kommentare mögen dabei auch Hauptdarsteller Will Smith geschuldet sein, der hier nicht wie in vielen seiner Actionrollen als wirklicher Actionheld auftritt, sondern tatsächlich getrieben scheint und über lange Zeit nicht im Bilde, was mit ihm geschieht. In dieser Beziehung kann sich das Publikum sehr gut mit ihm identifizieren, zumal seiner Figur mehr Hintergrund zugeschrieben wird, als man erwarten würde.

Die zweite Hauptrolle wird von Gene Hackman bekleidet in einer Figur, die durchaus eine Fortsetzung des Francis Ford Coppola-Thrillers Der Dialog [1974] sein könnte. Brill ist ein technisch versierter – und nicht zu unrecht paranoider – Abhörspezialist, der durch Roberts Kontaktperson Rachel gelegentlich Aufträge für Robert durchgeführt hat. An ihn wendet sich der Anwalt, in der Hoffnung, Hilfe gegen die übermächtige NSA zu erhalten. Dass es Hackman gelingt, einen solchen Eindruck zu hinterlassen, obwohl seine Figur erst nach beinahe der Hälfte des Films zum ersten Mal zu sehen ist, ist dem Charisma des Mimen zu verdanken. Eine wirkliche Überraschung ist die grundsätzliche Struktur des Thrillers, der für das Finale erneut zu einer Rahmenhandlung zurückfindet, die das Publikum glaubte, bereits eineinhalb Stunden zuvor verlassen zu haben. Gerade aus heutiger Sicht, da viele Hollywood-Produktionen ihrem Publikum allenfalls das Erinnerungsvermögen eines Goldfischs zutrauen, scheint ein solch inhaltlicher Bogen kaum denkbar. Das bedeutet nicht, dass er vollständig gelungen ist. Trotz der sehr unterhaltsamen Erzählung ist Der Staatsfeind Nr. 1 mindestens 15 Minuten zu lang. Doch setzen die Macher mehr Aufmerksamkeitsvermögen bei ihren Zuschauerinnen und Zuschauern voraus, als heute gemeinhin üblich.

Nimmt man all diese Punkte zusammen, ist Der Staatsfeind Nr. 1 nicht nur ein temporeicher und handwerklich kompetent umgesetzter Actionthriller, sondern inhaltlich auch aus heutiger Sicht noch überaus aktuell. Dass die allermeisten Menschen heute präzise Ortungs- und Abhörtechnik freiwillig bei sich tragen, anstatt damit ausgerüstet werden zu müssen, ist eine Entwicklung, die die Macher nicht haben vorhersagen können. Doch an den Auswirkungen dieser Möglichkeiten und was geschieht, wenn das eigene Leben mit einfachen Anschuldigungen komplett aus den Angeln gehoben wird, hat sich nichts geändert. Dem zuzusehen sollte nicht nur unterhalten, sondern auch wachrütteln. Für letzteres bleibt der Thriller jedoch spürbar zu formelhaft.


Fazit:
Dass es das Drehbuch versäumt, die Ironie anzusprechen, wenn die Verantwortlichen hier, um ein Überwachungsgesetz verabschiedet zu sehen, einen Mord begehen und dabei selbst von einer Kamera gefilmt werden, ist ein spürbares Versäumnis. Doch was Tony Scott als dystopische Gesetzesvision präsentiert, sollte wenige Jahre später mit dem „Patriot Act“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in ähnlicher Form in den USA in Kraft treten. Insoweit war Der Staatsfeind Nr. 1 inhaltlich aktueller, als die Macher womöglich glaubten. Zu sehen, wozu dies in der Figur des von Will Smith sympathisch und einnehmend gespielten Jedermanns Robert Dean führen kann, ist erschreckend und mit einem enorm hohen Erzähltempo dargebracht. Dass die rasanten Schnitte immer noch schneller werden, der eigenwillige Inszenierungsstil im Verlauf der Jagd auf den Anwalt immer weiter zunimmt, nagt jedoch am Unterhaltungswert. Es fehlen schlicht die erzählerischen Erholungsphasen, wozu auch der adrenalingeladene, hörenswerte Soundtrack beiträgt. Vielleicht soll dies darüber hinwegtäuschen, dass außer Hauptfigur Robert kaum ein Charakter wirklich definiert ist, allen voran die von Jon Voight angeführten Schurken, die so gut wie gar kein Profil bekommen. Wenn dann schließlich Politiker selbst zur Waffe greifen, reihen sich mehr Klischees aneinander, als es die durchaus komplexe Erzählung nötig hätte.
Das ist zwar schade, macht den Film für Genrefans jedoch nicht weniger empfehlenswert.