Die Welt in den Farben der Nacht – Staffel 1 [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 25. April 2021
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Earth at Night in Color
Laufzeit: 169 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Simon Muriel, Tom Payne, Joe Stevens, Justin Anderson
Musik: Christian Lundberg
Erzähler: Tom Hiddleston (Englische Fassung), Peter Lontzek (Deutsche Fassung)


Hintergrund:

Die Dokumentationsreihe widmet sich dem Nachtleben bekannter Tierarten, die in der schützenden Dunkelheit neue und ungeahnte Verhaltensweisen zeigen. Dank modernster Schwachlichtkameras gelingt auf diese Weise ein Blick auf das nächtliche Treiben, das hier taghell und in Farbe gezeigt wird. So ist in der Grassavanne Kenias das Familienleben der Löwen zu sehen („Die Savanne der Löwen“), die Familienbande der Sulawesi-Koboldmakis („Im Wald der Kobolde“), das Jagdverhalten eines Jaguars an einem Fluss in Brasilien („Das Reich des Jaguars“), der Kampf um Nahrung zwischen einem Braunbären und Wölfen in der europäischen Taiga („Das Land der Bären“), der Einfluss der nächtlichen Stadtlichter („Wilde Städte“) und das Jagdverhalten zweier Geparden-Brüder in der kenianischen Maasai Mara („Geparden-Land“).


Kritik:
Mit der kurzen und kurzweiligen Dokumentationsreihe Die Welt in den Farben der Nacht stellt sich der Streaming-Dienst Apple TV+ einer großen und etablierten Konkurrenz. Abseits der bekannten und preisgekrönten BBC-Dokumentationen hat sich nicht zuletzt Netflix mit zahlreichen hochwertigen Produktionen einen guten Ruf erarbeiten können. Dem setzt der jüngste Mitspieler auf dem heiß umkämpften Streaming-Markt mit Einfallsreichtum und Innovationskraft entgegen. Die jeweils nur 25 Minuten dauernden Episoden der ersten Staffel von Die Welt in den Farben der Nacht zeigen inhaltlich nur wenig Neues, das jedoch auf eine nie dagewesene Art und Weise. Das Ergebnis ist visuell atemberaubend und lässt inhaltlich zumindest etwas weniger zu wünschen übrig als die ähnliche Dokureihe Tiny World [seit 2020].

Im englischen Original erzählt von Darsteller Tom Hiddleston – erfreulicherweise wurde für die deutsche Synchronisation dessen bekannter Sprecher Peter Lontzek verpflichtet – wirbt die Reihe bereits im Vorspann mit ihrem Titel gebenden Feature: Die Macher präsentieren Aufnahmen aus der Tierwelt, die bei Nacht aufgenommen wurden. Das ist an sich kaum bemerkenswert, immerhin gibt es Nachtaufnahmen in Dokumentationen seit langer Zeit. Neu ist hier, welche Art von Kameras dabei zum Einsatz kommen. Anstatt auf klassische Nachtsichtgeräte zu setzen, durch die die Tierwelt für gewöhnlich einfarbig und grobkörnig erscheint, setzt das Produktionsteam hier auf sogenannte Schwachlichtkameras, die 100mal empfindlicher sind als das menschliche Auge. So erscheinen Aufnahmen, die bei Vollmond gemacht werden, urplötzlich, als wären sie am helllichten Tag aufgenommen. Gleichzeitig tauchen die Macher das Gezeigte, vermutlich durchaus unter Zuhilfenahme von Software-„Magie“, in natürliche Farben, wie man sie von gewöhnlichen Tageslichtaufnahmen kennt.

Das Ergebnis ist mehr als nur beeindruckend: Die Vollfarbenaufnahmen bei Nacht gehören zu dem umwerfendsten, was es seit langer Zeit bei Dokumentationen zu sehen gab. Die lichtempfindlichen Kameras ermöglichen einen Einblick in das nächtliche Treiben von Tieren, die dort mitunter ein anderes Sozialverhalten zeigen, als unter Tag. So widmet sich Die Welt in den Farben der Nacht in den sechs Folgen der ersten Staffel unter anderem dem Familienleben der Löwen in der Grassavanne Kenias, einem Jaguar in Brasilien, Braunbären und Wölfen, zwei Gepardenbrüdern, die einen ungeahnten Waffenstillstand mit Hyänen vereinbaren oder dem städtischen Nachtleben, das Tiere wie Vögel in ihrem Verhalten grundlegend beeinflusst.
Die unumwundenen Stars verbergen sich jedoch in der zweiten Episode, die sich im Dschungel den mit ihren riesigen Augen unvorstellbar putzig anmutenden Sulawesi-Koboldmakis widmet. Auch hier ist der inhaltliche Zugewinn überschaubar, die Aufnahmen allein sind jedoch derart verzaubernd, dass man sich wünschen würde, die Folge würde doppelt so lange dauern.

Das ist gleichzeitig einer der offensichtlichsten Kritikpunkte, denn die jeweils knapp halbstündigen Episoden sind letztendlich bedeutend kürzer, als ersichtlich. Neben einem zweiminütigen Vorspann und ebenso lange dauernden Abspann, zeigen die Macher in jeder Folge am Ende einen Blick hinter die Kulissen, der erneut einige Minuten in Anspruch nimmt. So nehmen die nächtlichen Stars durchschnittlich nur in etwa 20 Minuten der halbstündigen Dokumentationen ein. Das bedeutet nicht, dass der Blick hinter die Kulissen nicht interessant wäre, im Gegenteil. Zu sehen, welchen Aufwand die Macher betrieben haben, um diese einzigartigen Aufnahmen zu gewinnen, mit welchen Widrigkeiten sie in pechschwarzer Nacht zu kämpfen hatten, mit Seilzügen in die höchsten Baumgipfel zu kommen, oder inmitten der nächtlichen Savanne scheue Tiere zu finden, lässt einen die Aufnahmen mit anderen Augen sehen. Insbesondere, wenn erläutert wird, wie mühselig die schlicht umwerfenden Bilder der tanzenden Nordlichter erarbeitet wurden. Dennoch wäre ein separates Making-of vielleicht die geeignetere Wahl hierfür gewesen, selbst wenn ein Großteil des Publikums dieses vermutlich übersprungen hätte. So fragt man sich überraschend oft bei Die Welt in den Farben der Nacht, ob der Blick in die nächtlichen Aktivitäten der fantastischen Tiere bereits wieder vorbei ist.

Dass der Erzähler in jeder einzelnen Folge auf die fortschrittlichen Kameras verweist, immer wieder betont wird, wie bahnbrechend dieser neue Blick auf die Tierwelt ist, ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass nicht alle Zuschauerinnen und Zuschauer sämtliche Folgen ansehen werden. So wiederholen sich jedoch die Aussagen überraschend oft. Auch sollte nicht vergessen werden, dass die Schwachlichtkameras, so beeindruckend ihre Aufnahmen sind, auch ihre Schwachpunkte haben. So wirken die nächtlichen Aufnahmen bedeutend weicher und die vielen, vielen Zeitlupen können nur bedingt kaschieren, dass die einzelnen Szenen und Momente im Grunde kürzer sind, als man vermuten würde. Dies schmälert nicht die technischen Errungenschaften, die bei Die Welt in den Farben der Nacht zweifellos preiswürdig sind, es kann jedoch auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass andere Dokumentationsreihen inhaltlich gehaltvoller ausfallen.


Fazit:
Das nächtliche Jagdverhalten der Großkatzen, oder das unbeschreibliche Farbenspiel der Aurora Borealis, Die Welt in den Farben der Nacht wartet mit vielen Eindrücken auf, die begeistern und bei denen man sich fragt, wie diese den Verantwortlichen gelungen sind. Letzteres beantworten die Macher gleich selbst mit den kurzen Blicken hinter die Kulissen. So interessant diese sind, sie nehmen den ohnehin kurzen Episoden noch etwas an Laufzeit. Die häufig begeisterten Verweise auf die verwendete Technik klingen spätestens ab der dritten Folge allzu bekannt, während die Reihe nur selten mahnende Worte über den zerbrechlichen Zustand der Fauna verliert. Allenfalls in der vorletzten Folge, „Wilde Städte“, in denen ein Blick auf das Tierleben in Los Angeles, Chicago und Toronto geworfen und aufgezeigt wird, wie das künstliche Licht die Tierwelt beeinflusst, wird dies angedeutet. Das ist nicht erst, wenn man in 20 oder 50 Jahren auf diese Reihe zurückblicken wird, eine vertane Chance. Aber selbst wenn Die Welt in den Farben der Nacht inhaltlich Wünsche offen lässt und die einzelnen Episoden spürbar länger sein und mehr abdecken könnten, die einzigartigen und nie auf diese Weise gezeigten Einblicke in das Nachtleben der Tiere rund um den Planeten sind optisch derart einnehmend und begeisternd, dass man die kurzen Folgen kaum genug empfehlen kann.