Fringe: Grenzfälle des FBI – Staffel 4 [2011 / 2012]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. März 2021
Genre: Science Fiction / Thriller / Action

Originaltitel: Fringe: Season 4
Laufzeit: 956 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2011 / 2012
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Joe Chappelle, Brad Anderson, Miguel Sapochnik, Paul Holahan, Anthony Hemingway, Jeannot Szwarc, David Solomon, Charles Beeson, David Straiton, Jeff Hunt, J. H. Wyman, Frederick E. O. Toye, David Moxness
Musik: Chris Tilton, J.J. Abrams (Thema)
Besetzung: Anna Torv, Joshua Jackson, John Noble, Lance Reddick, Jasika Nicole, Blair Brown, Seth Gabel, Michael Cerveris, Jared Harris, Michelle Krusiec, Orla Brady, Leonard Nimoy


Kurzinhalt:

Der Preis, den Peter Bishop (Joshua Jackson) bei seinem Versuch bezahlt, die Schäden, die in beiden Universen entstanden sind, zu beheben, ist größer, als er erahnen konnte. Unterdessen findet FBI-Agentin Olivia Dunham (Anna Torv) der „Fringe“-Abteilung in Agent Lincoln Lee (Seth Gabel) einen Partner, der sie bei ihrer Arbeit mit unerklärlichen Phänomenen unterstützt. Zu ihrem Team zählt zudem Dr. Walter Bishop (John Noble), der Jahre in einer Nervenheilanstalt verbrachte. Agentin Astrid Farnsworth (Jasika Nicole) ist im Einsatz seine Augen und Ohren. Die unerklärlichen Fälle deuten oftmals auf eine Verbindung mit dem alternativen Universum hin, mit dem die Welt über eine sogenannte „Brücke“ verbunden ist. Jenseits der „Brücke“ steht der dortige „Fringe“-Leiter Broyles (Lance Reddick) vor einer unmöglichen Entscheidung. Aber nicht nur, dass die Verantwortlichen auf beiden Seiten dieser Verbindung einander misstrauen, sie alle haben einen gemeinsamen Feind, von dessen Anwesenheit sie nicht einmal ahnen – und einen Verbündeten, den sie nicht kennen …


Kritik:
Wie und ob überhaupt Staffel 4 von Fringe: Grenzfälle des FBI ein gelungener Abschnitt innerhalb der Serie ist, wird sich erst bewerten lassen, wenn die Serie selbst zu einem Abschluss gekommen ist. Es gibt Entscheidungen der Verantwortlichen im Hintergrund, die viele Fans wehmütig auf das blicken lassen, was sich hier abspielt. Dennoch muss man den Mut bewundern, die Geschichte in der Art und Weise zu erzählen. Nicht zuletzt, weil es vom Publikum in nicht zu unterschätzendem Umfang ein abstraktes Vorstellungsvermögen abverlangt.

Dabei machen es sich die Autorinnen und Autoren erstaunlicherweise nicht einfach, frühzeitig oder überhaupt alles Gezeigte zu widerrufen und so zu tun, als wäre all dies nicht passiert. Im Gegenteil. Die letzten Momente der vorigen Staffel wirken sich nicht nur auf diese hier vollständig aus, sie werden auch den Werdegang der Figuren für die kommende prägen. Nachdem Fringe zuvor mit dem Prinzip der verschiedenen Universen und verschiedenen Zeitebenen spielte, kommt nun ein ganz neuer Ansatz hinzu: Was wäre wenn? Was wäre, wenn es eine zentrale Figur der Serie nie gegeben hätte? Wie hätten sich die Dinge dann entwickelt? Wie hätten sich die Charaktere entwickelt?
Lange Zeit arbeitete die große Hintergrundgeschichte darauf hin, den Schaden, der in der hauptsächlichen und in der alternativen Realität durch die Entscheidungen des Wissenschaftlers Dr. Walter Bishop entstanden war, zu beleuchten und vielleicht zu reparieren. Im Bestreben, einen großen Verlust wiedergutzumachen, hatte er die Welt unbeabsichtigt an den Rand der Auslöschung gebracht. Mit Hilfe einer uralten Maschine wollte sein Sohn Peter dies ungeschehen machen. Bis im Finale der letzten Staffel alles anders kam.

Trifft das Publikum in Staffel 4 auf die bekannten Figuren, sind die Unterschiede kaum zu übersehen. Dass beinahe alle in doppelter Funktion zu sehen sind, macht es für die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht einfacher, dem Gezeigten inhaltlich folgen zu können. Den Überblick zu behalten, was im eigentlichen, was im alternativen Universum und was hiervon in den „Was wäre wenn?“-Ausführungen geschehen ist, ist alles andere als einfach. Noch komplizierter wird dies durch das Konzept der von der Zeit unabhängig agierenden Beobachter. Einer der Schlüsselelemente des Beobachters September erfolgt in der Mitte der Staffel in der Episode „Das Ende aller Dinge“ und strahlt dabei sowohl nach vorne als auch nach hinten in der Staffel aus. Es lohnt daher, sich beim zweiteiligen Staffelfinale „Schöne neue Welt“ vor Augen zu führen, welche Reise September noch vor sich hat, was also für ihn noch geschehen wird, das für das Publikum und die übrigen Figuren bereits geschehen ist. Es klingt, als könnte man Kopfschmerzen bekommen, allein, wenn man darüber nachdenkt. Tatsächlich erfordert Fringe hier wie zuvor eine hohe Aufmerksamkeit, möchte man die Hinweise und den Ablauf der Geschichte tatsächlich verstehen.

Erschwert wird dies durch die inhaltliche Neuausrichtung mit dem Staffelauftakt „Der Mann im Spiegel“ und die darauf folgenden Episoden. Es ist beinahe, als würde die Serie noch einmal neu beginnen, allerdings mit einer geänderten Ausgangslage. Dadurch gilt es auch, die Figuren neu kennenzulernen. Von einem unsicheren, abgekapselten Walter, bis hin zu einer nach drei Jahren der Öffnung wieder in sich gekehrten Olivia und zu Walters einstiger Assistentin Astrid, die nunmehr eine FBI-Agentin im praktischen Einsatz ist. Dass der bereits aus dem alternativen Universum bekannte Lincoln Lee nun eine prominente Rolle übernimmt, funktioniert zum großen Teil dank der Darbietung von Seth Gabel. Überhaupt ist es einmal mehr die Besetzung, angeführt von John Noble und Anna Torv, denen erneut das Kunststück gelingt, ihre bekannte Figuren neu zu interpretieren. Dies so gut, dass kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Charaktere aufkommt. Dass auch Nebencharaktere wie Lance Reddick als charismatischer „Fringe“-Abteilungsleiter Phillip Broyles und eben Jasika Nicole als Astrid stärker eingebunden sind, sie mehr zu tun bekommen, ist ein weiterer Pluspunkt der vierten Staffel. Joshua Jackson nimmt hierbei eine Sonderrolle ein, die ihn jedoch mehr fordert, als zuletzt. Eine willkommene Abwechslung.

Geradezu verblüffend ist, wie viele Elemente und Storystränge vorangegangener Staffeln die Macher aufgreifen und zum Abschluss führen. Nebenhandlungen, die man beinahe bereits vergessen hätte, werden hier eingewoben, so dass es den Anschein hat, die Verantwortlichen hätten dies weit über ein Jahr zuvor bereits genau so geplant gehabt. Der erneute Auftritt von Orla Brady als Walters Ehefrau Elizabeth zählt zu den Highlights und führt zu einem Dialog zwischen ihr und dem gebrochenen Walter in dessen Labor in der Episode „Der Feind meines Feindes“, der nicht nur hervorragend geschrieben ist, sondern hinsichtlich der Verwendung von dunklen und hellen Hintergründen der Figuren beeindruckend einfühlsam umgesetzt wurde. Es ist eine der handwerklich besten Szenen der gesamten Staffel. Dass Jared Harris erneut in die Rolle des Schurken David Robert Jones schlüpft, ist ebenfalls mehr als willkommen und verleiht der Serie durch die andere Ausrichtung einen neuen Dreh. Doch führt dies unweigerlich zu der Frage, was Fringe: Grenzfälle des FBI – Staffel 4 bieten kann, was die vorigen Entwicklungen der Charaktere nicht bereits geboten haben. Dies ist außerordentlich schwer zu beurteilen.

Die 19. Folge der Staffel springt 24 Jahre in die Zukunft und gibt damit einen Ausblick auf die künftige Entwicklung der Geschichte. So interessant dies ist, es ist ein Erzählstrang, der mit der eigentlichen Handlung um die Figuren erst einmal nichts zu tun hat, selbst wenn hier Staffel 5 ihre Schatten vorauswirft. Es wirkt, an dieser Stelle der Serie eingebracht, wie die bildliche Karotte, die dem Publikum vor die Nase gehalten wird, um auch dann noch gespannt zu bleiben ,wenn die eigentliche Handlung der Serie mit dem Ende des Staffelfinales hätte zum Abschluss gebracht werden können. Hier bringen die Macher erneut eine bekannte Figur zurück, doch so gelungen das Wiedersehen ist, vollends zum Einsatz kommt der Charakter nicht. Nach vier Jahren, in denen man diese Figuren in verschiedenen Ausführungen vorgestellt bekam, muss man ernüchtert feststellen, dass die ursprüngliche Fassung, deren Geschichte man an sich für erzählenswert hielt, gar nicht mehr existiert. Insofern erscheint es mutig, die Protagonisten so nachhaltig zu verändern, es ist jedoch auch insoweit gefährlich, als dass man sich auf Figuren, die keine Beständigkeit haben, gar nicht mehr einlassen möchte. Ob all dies zusammenpasst, ob der Exkurs in eine nahe Zukunft das Ende der Serie nur verzögert, aber nicht bereichert, kann man erst nach der fünften und letzten Staffel beurteilen. Das Staffelfinale wäre jedoch kein schlechter Zeitpunkt gewesen, die Story enden zu lassen.


Fazit:
Das Gefühl, dass die Macher mit dem Beginn der vierten Season versuchen, die Serie neu zu erfinden, hält lange an. Dabei erscheinen vor allem die ersten paar Episoden, als würden sie die Wiederkehr einer Figur nur hinauszögern. Es folgen zahlreiche sehenswerte, durchaus spannende und interessante Geschichten, deren Wendungen nicht alle absehbar sind. Mit dem normalen, geänderten Universum und seinem entsprechenden Konterfei gibt es genügend Facetten zu entdecken, die durch die neue Ausgangslage entstanden sind. Die mit Abstand beste Episode ist jedoch bereits die zweite, „Eine Nacht im Oktober“, die nicht nur hervorragend gespielt, sondern erstklassig geschrieben ist mit einer Story, die viele philosophische Fragen aufwirft. Qualitativ vermögen die üblichen Geschichte zwar nicht anzuschließen, doch das schmälert nicht den Unterhaltungswert. Weiterhin von der Besetzung preiswürdig gespielt, beweist Fringe: Grenzfälle des FBI – Staffel 4 sichtlich Mut, einerseits, die etablierten Charaktere so weitreichend zu verändern und gleichzeitig, dem Publikum zu vertrauen, sich nicht nur hierauf, sondern auch auf die komplexe Struktur der Hintergrundgeschichte einzulassen. Zu Beginn der 22 Folgen oftmals Mystery, am Ende mehr Science Fiction, werden Genrefans hier immer noch fündig. Ob es sich jedoch lohnt, die Reise mit diesen Figuren zu unternehmen, wird sich in der kommenden, letzten Staffel weisen.