Aufbruch zum Mond [2018]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. August 2020
Genre: Drama / Biografie

Originaltitel: First Man
Laufzeit: 141 min.
Produktionsland: USA / Japan
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Damien Chazelle
Musik: Justin Hurwitz
Darsteller: Ryan Gosling, Claire Foy, Jason Clarke, Kyle Chandler, Corey Stoll, Patrick Fugit, Christopher Abbott, Ciarán Hinds, Olivia Hamilton, Pablo Schreiber, Shea Whigham, Lukas Haas, Ethan Embry


Kurzinhalt:

Anfang der 1960er-Jahre meldet sich Test-Pilot Neil Armstrong (Ryan Gosling) auf einen Aufruf hin als Kandidat für das Weltraumfahrt-Programm der NASA. Er wird akzeptiert und zusammen mit den übrigen Astronauten von Missionsleiter Deke Slayton (Kyle Chandler) darauf eingeschworen, wie schwierig das Unterfangen sein wird, bis es gelingen kann, die Rede des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy wahr werden zu lassen, und auf dem Mond zu laden. In dieser Zeit steht Neils Familie hinter seiner Hingabe zu dem Programm zurück. Seine Frau Janet (Claire Foy) zieht die beiden Söhne groß und muss wie die Frauen der anderen Astronauten mitansehen, wie regelmäßig schwere Unglücke die Entwicklung überschatten. Ungeachtet der engen Gemeinschaft der Piloten, vertraut sich Neil nicht einmal seinem Kollegen Ed White (Jason Clarke) an. Dann fällt die Entscheidung auf Neil, die Mission zu leiten, die als erste auf dem Mond landen soll …


Kritik:
Damien Chazelles Biografie-Drama Aufbruch zum Mond bringt seinem Publikum einen der entscheidendsten und inspirierendsten Momente des vergangenen Jahrhunderts nahe. Kaum ein Ereignis hat insbesondere nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs ganzen Generationen Hoffnung auf eine bessere Zukunft geschenkt, wie die Mondlandung. Dass im Zentrum dieser Geschichte Astronaut Neil Armstrong steht, der über weite Strecken ebenso unnahbar scheint wie der Erdtrabant, gestaltet die Erzählung umso herausfordernder. Sich dieser historischen Figur zu nähern, gelingt dem Filmemacher jedoch bei weitem weniger gut, als bei der Reise zum Mond selbst.

Insofern bleibt am Ende die Frage, was Aufbruch zum Mond eher ist: Der Blick auf das Leben des Astronauten Armstrong, oder auf jene Weltraum-Mission, die den Blick auf die Erde für immer verändert hat? Für eine reine Biografie beschäftigt sich das Drama zu wenig mit der Hauptfigur, die als distanziert und unterkühlt gezeigt wird. Nachdem die junge Familie von einem schrecklichen Verlust heimgesucht wird, meldet sich Test-Pilot Neil Armstrong bei der NASA, die Astronauten für das zwischen den USA und der Sowjetunion ausgetragene Rennen um die Eroberung des Weltraums sucht. Es wird Jahre und viele Rückschläge brauchen, ehe er die vielleicht berühmtesten Worte des 20. Jahrhunderts sagen wird. Bis dahin erfährt das Publikum über Neil Armstrong jedoch erstaunlich wenig. Von Ryan Gosling insbesondere in denjenigen Momenten packend portraitiert, in denen die Zurückhaltung Armstrongs bröckelt und seine Trauer zur Geltung kommt, wird er als ehrgeizig und hochkonzentriert gezeigt. Dass der Verlust ihn auch Jahre danach nicht loslässt, deutet zwar an, dass mehr in ihm vorgeht, als er zulässt, doch reicht dieser Blick auf ihn letztendlich nicht aus. Wie seine Rolle als Vater zweier Kinder und Ehemann sich in sein Leben einfügt, beschreibt Filmemacher Chazelle kaum. Es ist beinahe, als wären diese Menschen zwar in seinem Leben, ohne ein Teil von ihm zu sein.

Was Gosling an Emotion hier verbirgt, bringt Claire Foy als Armstrongs erste Frau Janet umso besser zur Geltung. Ihre Darbietung ist die stärkste des Films. Dass Aufbruch zum Mond Armstrongs Werdegang bis hin zu jener schicksalshaften Mission gewissermaßen überspringt, sei dem Film verziehen. Dass er danach aber schlicht endet, ohne dem Publikum wenigstens Informationen auf den Weg zu geben, wie viele Menschen diese Reise inspirierte, oder was aus Neil und Janet wurde, ist ein mehr als nur vermeidbares Versäumnis. Umso mehr, da die gesamte Erzählung spürbar auf den Schultern dieser Figuren ruht, während andere wie der Leiter der Mission, nur untergeordnete Rollen übernehmen und leider kaum zur Geltung kommen. Aber dadurch, dass Armstrong hier wenig aus sich herausgeht, er weniger Dialoge besitzt, als manch andere Charaktere, macht es mitunter schwer, mit ihm mitzufiebern.

Insoweit gelingt es Filmemacher Damien Chazelle nur eingeschränkt, die Figur im Zentrum greifbar oder verständlich zu machen. Anders sieht es hingegen mit der Mission an sich aus. Sowohl die Kamera selbst mit ihrem unübersehbaren Filmkorn als auch die Farbgebung unterstreichen ein geradezu dokumentarisches Flair der Inszenierung. Sieht man Aufnahmen der Untersuchungsräume der NASA, dann ist es beinahe, als würde man (hervorragend restaurierte) Bilder sehen, die damals aufgenommen wurden. Hinzukommen Trickeffekte, die auf eine unvorstellbare Art und Weise unsichtbar sind, dass es ist, als wäre man mit den Figuren an eben jenen Orten und würde diese Dinge sehen. Weshalb sich die Macher jedoch dafür entschieden, die meisten Aufnahmen mit einer geradezu schwindelerregend verwackelten Handkamera einzufangen, wird ihr Geheimnis bleiben. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar, wenn eine Weltraum-Mission aus Sicht der beiden Astronauten gezeigt wird und das Publikum auf diese Weise einen Eindruck bekommt, welche Herausforderung es für sie gewesen sein muss, in diesen Situationen überhaupt einen Überblick zu behalten. Doch dass selbst Gespräche fahrig und wackelig inszeniert sind, macht die Momente stellenweise unnötig schwer zugänglich.

Zusammen mit den wenig beleuchteten, unnahbaren Figuren, gilt das gleiche somit am Ende auch für den Film insgesamt.


Fazit:
Greift Komponist Justin Hurwitz bei manchen Weltraumaufnahmen auf Walzermusik zurück, dann schleicht sich die Vermutung ein, der Film wolle Stanley Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum [1968] Tribut zollen. In gewisser Hinsicht nimmt er sich ähnlich viel Zeit und so dauert es lange, ehe die Apollo-Missionen der NASA ins Zentrum rücken. Zu sehen, in welcher Geschwindigkeit die Ingenieure damals nie dagewesene Technologie aus dem Boden stampfen mussten und unter welchen Opfern die unvorstellbaren Fortschritte in kürzester Zeit erkauft wurden, ist nach wie vor gleichermaßen erschreckend wie inspirierend. Diese Aspekte bleiben bei Aufbruch zum Mond mehr in Erinnerung als die Charakterisierung der historischen Persönlichkeit Neil Armstrong, dem sich das Publikum nie nähern kann. Handwerklich ist Damien Chazelles Film durchweg authentisch und hervorragend zugleich. Die Aufnahmen besitzen eine geradezu dokumentarische Atmosphäre und die Bilder sind derart erlesen, als säße man zeitweise mit im Cockpit. Hinzu gesellt sich ein ohrenbetäubender Ton, der die Illusion perfekt abrundet. Dann – sowie bei den persönlichen Verlusten – entfaltet das Drama auch sein größtes Potential und gerät spannend und faszinierend zugleich. Bis es soweit ist, vergeht jedoch viel Zeit und die Frage bleibt, ob eine Konzentration auf die Missionen selbst, mit ihren Rückschlägen und Meilensteinen, nicht packender gewesen wäre, als das unvollständige Porträt eines Menschen, dessen Errungenschaft für die Menschheit wohl immer bedeutsamer sein wird, als er selbst.