Bad Times at the El Royale [2018]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. Juli 2020
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Bad Times at the El Royale
Laufzeit: 141 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Drew Goddard
Musik: Michael Giacchino
Darsteller: Jeff Bridges, Cynthia Erivo, Dakota Johnson, Jon Hamm, Chris Hemsworth, Cailee Spaeny, Lewis Pullman, Nick Offerman, Xavier Dolan, Shea Whigham


Kurzinhalt:

Ende der 1960er-Jahre. Auf ihrem Weg zu einem Auftritt trifft die Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo) beim Hotel „El Royale“ ein, das direkt auf der Landesgrenze der Bundesstaaten Nevada und Kalifornien liegt. Zusammen mit dem Priester Flynn (Jeff Bridges) und dem Staubsauger-Vertreter Sullivan (Jon Hamm) betritt sie das ansonsten verlassene Hotel, das einzig vom Pagen Miles (Lewis Pullman) geführt und unterhalten wird. Als wenig später die junge Emily (Dakota Johnson) eintrifft, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Denn obwohl unterschiedliche Gründe sie alle hierher geführt haben mögen, ob sie das Hotel tatsächlich wieder verlassen werden, liegt nicht allein mehr in ihren eigenen Händen …


Kritik:
Es ist schwer zu sagen, was für eine Art Film Bad Times at the El Royale tatsächlich ist. Es ist beinahe, als wäre Regisseur und Autor Drew Goddard nicht darauf aus, sich auf ein Genre festlegen zu lassen. Was beginnt wie ein Krimi, wandelt sich zu einem alles andere als zimperlichen Thriller, in dessen Zentrum gebrochene oder traumatisierte Figuren stehen. Das ist stellenweise bitterböse amüsant, zum Ende hin allerdings mehr Psychothriller um Macht und Gewalt. Sehenswert ist es allemal.

Das trifft bereits auf den Ort der Handlung zu, dem fiktiven Hotel / Motel „El Royale“, das sich über die Grenzen von zwei US-Bundesstaaten hinweg erstreckt. Eine Seite liegt im US-Bundesstaat Nevada, die andere in Kalifornien. Auch wenn nicht genau gesagt wird, wann die Geschichte spielt, ausgehend von einem Fernsehinterview mit dem US-Präsidenten Richard Nixon müsste es 1969 sein. Als die Afroamerikanerin Darlene Sweet beim El Royale eintrifft, findet sie den Priester Flynn orientierungslos vor dem Eingang stehen. Drinnen treffen beide auf den Vertreter Laramie Seymour Sullivan und nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Sullivan über die Geschichte des Hotels philosophiert, betritt endlich der Page Miles die Lobby, um ihnen die Zimmer zuzuweisen. Die besten Tage hat das El Royale bereits hinter sich. Bis auf die drei Gäste und die Hippie-Frau Emily, die außerdem noch eintrifft, ist das Hotel verlassen. Die Gäste selbst könnten unterschiedlicher kaum sein, zumal der Vertreter Sullivan in Wahrheit kein Vertreter ist und kurz nach Bezug der Flitterwochensuite allerlei Abhörgeräte in seinem Zimmer findet. Wenig später findet er heraus, dass es über das Wartungszimmer des Pagen einen Zugang zu einem Gang gibt, der hinter den Zimmern verläuft und durch den man die Bewohnerinnen und Bewohner beobachten kann.

Was also genau ist das El Royale? Es ist eine Frage, an der Goddard gar nicht im eigentlichen Sinne interessiert ist. Sie ist für ihn vielmehr Ausgangspunkt, um in Bad Times at the El Royale die unterschiedlichsten Figuren aufeinandertreffen zu lassen. Angefangen von dem angeblichen Vertreter, bis hin zu einem Priester, der in seinem Zimmer beginnt, den Boden „umzugraben“. Emily bringt eine gefesselte und geknebelte junge Frau in ihr Zimmer, während die Sängerin Darlene nicht so hilflos ist, wie sie scheinen mag. Wie all das mit einem Sektenführer zusammenhängt, welche Rolle Chris Hemsworth in der Geschichte spielt und wieso ausgerechnet der Page Miles am Ende allen übrigen Beteiligten die Show stiehlt, sei hier nicht verraten. Dass seine Figur letztlich den tragischsten Hintergrund zugeschrieben bekommt, ist eine wirkliche Überraschung und die Entwicklung des Charakters auf eine unvorhersehbare Art gelungen. Bis dahin stellt der Film die Figuren entsprechend der Zimmer vor, springt in ihrer Geschichte zurück und zeigt, was sie zum Hotel gebracht hat. Der Ansatz ist nicht neu, die Hintergründe der Personen aber so unterschiedlich, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sich all das auflösen lassen soll.

Durch die Art der Erzählung wiederholen sich bestimmte Momente im Film mehrmals, jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Das verdichtet zwar die Erzählung, die letztlich allein in einer Nacht spielt, zusammen mit den langen Ausführungen der einzelnen Personen, die den eigentlichen Erzählfluss spürbar unterbrechen, zieht die Struktur des Films die Geschichte jedoch auch merklich in die Länge. Mit beinahe zweieinhalb Stunden ist Bad Times at the El Royale kein kurzer Film und merklich länger, als er sein müsste. Trotzdem sind Schlüsselszenen im Film packend und insgesamt die Story interessant dargebracht, aber Regisseur Drew Goddard scheint mehr um die Art der Präsentation denn die Geschichte selbst bemüht.

Die Präsentation ist dabei schlicht grandios. Das Hotel selbst macht einen so wirklichen und greifbaren Eindruck, dass es gewissermaßen als eigenständige Figur wahrgenommen wird. Als ebenso gebrochener Charakter, von denen sich die meisten hier an einem Scheideweg zwischen gut und böse befinden – so wie die Landesgrenze unmittelbar durch das Hotel verläuft. Kamera und Schnitt sind durchweg hervorragend, sei es bei der Vorstellung der Figuren oder insbesondere dem Finale, und die Besetzung ist bemerkenswert zusammengestellt. Jeff Bridges ohnehin, aber auch Cynthia Erivo ist merklich gefordert und verleiht ihrer schweigsamen Filmfigur einen Facettenreichtum, der auf den Punkt gebracht wird, wenn sie am Ende aus sich herausbricht und den in einer ungewöhnlichen Rolle zu sehenden Chris Hemsworth demaskiert. Jon Hamm hat als einziger erstaunlich wenig zu tun, während die unter anderem aus Fifty Shades of Grey [2015] bekannte Dakota Johnson eindrucksvoll beweist, dass man ihr schauspielerisches Talent nicht unterschätzen sollte. Sie alle stehen im Schatten von Lewis Pullman und verschreiben sich sichtbar einer Geschichte, die kein großes Publikum ansprechen wird, die aber ungewöhnlich und einfallsreich ist, so dass die Mystery-Story das richtige Publikum beeindrucken wird. Ein solches Projekt anzugehen, erfordert durchaus Mut und auch Anerkennung.


Fazit:
Unbestritten, so gelungen die Charakterisierungen auch sind, am Ende ist Bad Times at the El Royale spürbar (zu) lang. Insofern sollte man keinen temporeichen Mystery-Thriller erwarten, wie die Filmvorschau es suggeriert, sondern einen Film, der mit den Erwartungen des Publikums spielt und sich bewusst keinen Genrekonventionen hingibt. So sind zahlreiche Szenen der ersten Hälfte mit düsterem Humor dargebracht, während das Finale auch inhaltlich viel ernster gerät. Die Figuren scheinen eingangs skurril, während man im Verlauf erkennen muss, dass die meisten tatsächlich traumatisiert und wenigstens auch, wenn nicht sogar mehr, Opfer statt Täter sind. Handwerklich so stylisch wie hervorragend dargebracht und von einer fantastischen Besetzung zum Leben erweckt, sieht man dem Film auch in der cleveren Erzählung in jedem Moment an, wie viel Zeit und Überlegung Autor und Regisseur Drew Goddard hier hat einfließen lassen. Das Ergebnis ist für all die vorgenannten Punkte sehenswert, wenn auch nicht für ein breites Publikum geeignet. Am ehesten erinnert Bad Times at the El Royale an einen Film von Quentin Tarantino, ohne die für ihn typische Selbstgefälligkeit. Das ist mehr als nur ein Kompliment.