Colossal [2016]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Juni 2018
Genre: Fantasy / Drama / Komödie

Originaltitel: Colossal
Laufzeit: 109 min.
Produktionsland: Kanada / USA / Spanien / Südkorea
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Nacho Vigalondo
Musik: Bear McCreary
Darsteller: Anne Hathaway, Jason Sudeikis, Austin Stowell, Tim Blake Nelson, Dan Stevens, Hannah Cheramy, Nathan Ellison, Sarah Surh, Haeun Hannah Cho


Kurzinhalt:

25 Jahre nachdem es zum ersten Mal urplötzlich erschienen und ebenso schnell wieder spurlos verschwunden war, materialisiert über der Hauptstadt Südkoreas, Seoul, ein gigantisches Monster, größer als ein Hochhaus, das eine riesige Zerstörung anrichtet und sich dann plötzlich wieder auflöst. Die arbeitslose Journalistin Gloria (Anne Hathaway), die von ihrem Freund Tim (Dan Stevens) auf die Straße gesetzt wurde, da sie ein Alkoholproblem hat und ihn ständig belügt, erfährt von den Geschehnissen auf der anderen Seite der Welt erst am nächsten Tag. In ihren Heimatort in Neuengland zurückgekehrt, richtet sie sich notdürftig in einem Haus ihrer Eltern ein. Ihr ehemaliger Schulfreund Oscar (Jason Sudeikis) gibt ihr einen Job in seiner Bar, wo sie nach Feierabend mit Oscar und seinen Freunden Garth (Tim Blake Nelson) und Joel (Austin Stowell) regelmäßig trinkt. Als sie am nächsten Tag in den Nachrichten wieder Bilder des riesigen Monsters sieht, kommt ihr der Verdacht, dass sie selbst dafür verantwortlich ist …


Kritik:
Die ungewöhnliche Fantasy-Dramödie Colossal von Regisseur Nacho Vigalondo, der auch das Drehbuch schrieb, besitzt so viele beachtenswerte Facetten und Sinnbilder, dass es umso erstaunlicher ist, wie wenig Eindruck die Erzählung am Ende hinterlässt. Ungeachtet der gelungenen Besetzung, angeführt von einer tollen Anne Hathaway, kann das Ergebnis nicht vollends überzeugen, was jedoch nicht an der Erklärung liegt, die das Drehbuch für den Monster-Aspekt der Story liefert.

Der ist es zwar, der dem Publikum als erstes auffallen wird, doch ist er nicht mehr als die Manifestation dessen, was Protagonistin Gloria widerfahren ist. Die arbeitslose junge Frau, die von ihrem Freund in New York auf die Straße gesetzt wird, ist ganz offensichtlich alkoholsüchtig – und nun auch noch obdachlos. So zieht es sie in ihre Heimat in den Nordosten der Vereinigten Staaten, wo ihren Eltern ein verlassenes Haus gehört. Dort richtet sie sich ein und trifft auf den ehemaligen Schulfreund Oscar, der bedeutend freundlicher zu ihr ist, als ihr „Ex“ Tim. Oscar hilft Gloria, sich in dem Haus heimisch zu fühlen, gibt ihr einen Job als Kellnerin in seiner Bar und verbringt mit seinen Freunden Joel und Garth Zeit mit ihr. All das wäre für sich genommen gar nicht weiter bemerkenswert, würde nicht urplötzlich in Seoul ein wolkenkratzerhohes Monster erscheinen, das ganze Bereiche der Stadt in Schutt und Asche legt. Und wie Gloria mit Schrecken feststellen muss, ist sie dieses Monster oder zumindest dafür verantwortlich.

Die Geschichte klingt, als hätte der Filmemacher zu viele asiatische Monster-Horror-Streifen gesehen, doch ist das nur ein Teil der Story. Im Kern verbirgt sich in Colossal eine feine Charakterzeichnung, allen voran von Gloria, die ihr Leben Stück für Stück neu ordnen und in den Griff bekommen muss, wobei sie als erstes schmerzlich zu erkennen hat, dass ihre Alkoholsucht nicht ohne Auswirkungen bleibt. Dieser Aspekt ist überaus gut gelungen, ohne dass er dem Publikum mit erhobenem Zeigefinger vor Augen geführt würde. Gleichzeitig ist es an Gloria zu begreifen, dass diejenigen Menschen – hier sind es allesamt Männer – um sie herum, die ihr vermeintlich Gutes tun, lediglich Macht über sie ausüben wollen. Das betrifft Tim ebenso wie den anfangs so sympathischen Oscar, der sie bewusst dazu bringen will, sich zu betrinken oder für etwas, das sie tut oder getan hat, schlecht zu fühlen.

Es ist eine Dynamik, die bedauerlicherweise nicht selten vorkommt und umso treffender ist hier, dass Gloria nicht von einem Ritter in schimmernder Rüstung gerettet wird, sondern sich wenn, dann selbst retten muss. Dank der facettenreichen Darbietung von Anne Hathaway, die Glorias zunehmende Erkenntnis, dass ihre Handlungen allesamt Auswirkungen haben, treffend verkörpert, ist das überaus sehenswert. Wie sich die Sympathien des Publikums zu dem von Jason Sudeikis eingangs charmant verkörperten Oscar verschieben, ist dabei eine echte Überraschung.
Doch so positiv all das klingt, es gibt einige Punkte bei Colossal, die große Schatten werfen. Da ist zum einen die Tatsache, dass Gloria sehr früh erkennt, dass sie diejenige ist, die das Monster steuert. So früh in der Tat, dass man sich fragen muss, was der Film die restliche Laufzeit über noch zeigen möchte. Zusätzlich vollzieht sich ihre Wandlung überaus schnell. Dass sie auf den Alkohol verzichtet, um keinen weiteren Schaden anzurichten, geschieht von einem Moment auf den anderen, ohne dass ihr eigentlicher Entschluss, ihre Erkenntnis, jedoch gezeigt werden würde. Aus Nebencharakteren wie Garth weiß das Skript überdies leider nichts zu machen, so dass er plötzlich schlicht nicht mehr auftaucht.

Dass man über die übrigen Figuren nicht allzu viel erfährt, mag man dem Drehbuch noch verzeihen, doch dass auch über Gloria selbst nur rudimentäre Informationen zur Verfügung gestellt werden, ist recht enttäuschend. Zumal Colossal genügend Zeit hätte, sich mit ihr eingehender zu beschäftigen. Bestimmte Dinge werden unnötig oft wiederholt und auf diese Weise die Geschichte, die im besten Fall eine Stunde hätten füllen können, auf Spielfilmlänge gedehnt. Darunter leidet am Ende merklich die Spannung, zumal Gloria selbst – ob nun die längste Zeit Opfer oder nicht – in der ersten Filmhälfte keine Sympathieträgerin ist.


Fazit:
Anne Hathaway verleiht Gloria eine Verletzlichkeit, die ebenso überzeugt, wie ihr Kampf zurück in ein selbstbestimmtes und selbstbewusstes Leben. Dass Opfer von Gewalt als Folge daraus oft selbst ein Monster in sich tragen, arbeitet Filmemacher Nacho Vigalondo gelungen und trotz der Visualisierung subtil heraus. Auch die zerstörerische Wirkung von Alkoholmissbrauch bringt er auf den Punkt. Die stimmige Besetzung und die für das geringe Budget bemerkenswerten Tricks runden die tadellose Präsentation von Colossal ab. Doch provoziert die Fantasy-Dramödie nie herzhafte Lacher, geschweige denn ergreifend emotionale Szenen, auch weil man über die Figuren zu wenig erfährt. In Anbetracht der Tatsache, wie schnell die Zusammenhänge zwischen dem Monster und Gloria aufgedeckt werden und wie oft das Skript andere Aspekte wiederholt, lässt der Film einen wirklichen Spannungsbogen schmerzlich vermissen. Als 30- bis 40-minütige Episode einer Mystery-Serie wie Unglaubliche Geschichten [1985-1987] wäre das ein wichtiger und unumwunden gelungener Beitrag gewesen. Als Spielfilm bietet die Story auf die Lauflänge bedauerlicherweise zu wenig Substanz.