Sully [2016]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 8. Juli 2017
Genre: Drama / Biografie

Originaltitel: Sully
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Clint Eastwood
Musik: Christian Jacob, Tierney Sutton Band
Darsteller: Tom Hanks, Aaron Eckhart, Laura Linney, Mike O'Malley, Jamey Sheridan, Anna Gunn, Valerie Mahaffey, Delphi Harrington, Holt McCallany


Kurzinhalt:

Als Pilot mit 40 Jahren Flugerfahrung weiß Kapitän "Sully" Sullenberger (Tom Hanks), welcher Katastrophe er an Bord des mit 155 Menschen besetzten Fluges mit der Nummer 1549 entgegensieht, als beide Triebwerke nach einem Vogelschlag ausfallen. Er entscheidet, entgegen der Vorschläge der Flugleitstelle, nicht einen nahegelegenen Flughafen anzufliegen, sondern die Maschine mit Ko-Pilot Jeff Skiles (Aaron Eckhart) auf dem Hudson River notzuwassern. Während ihn die Presse im Nachgang als Helden feiert, ist es eine Entscheidung, für die er sich vor einer Kommission rechtfertigen muss. Nicht nur, dass man ihm vorwirft, das Leben der Passagiere unnötig gefährdet zu haben, in Simulationen wird nachgewiesen, dass die übrigen Flughäfen noch erreichbar gewesen wären ...


Kritik:
Als am 15. Januar 2009 die Nachricht um die Welt ging, dass US Airways-Flug 1549 auf dem Hudson River bei Midtown Manhattan, New York, notgewassert war, hielten viele Menschen zu Recht den Atem an. Erneut ein Flugzeug, erneut New York, das seit dem 11. September 2001 nicht zur Ruhe zu kommen schien. Das Ereignis wurde bekannt als das "Wunder vom Hudson" und sieht man Clint Eastwoods Rekonstruktion dieser erschreckenden dreieinhalb Minuten, dann ist die Bezeichnung mehr als nur gerechtfertigt. Sully setzt all denen, die mitgeholfen haben, dieses Wunder zu erschaffen ein treffendes Denkmal.

Dabei erzählt er, was sich an jenem Tag zugetragen hat, nicht als klassischen Katastrophenfilm, sondern als reflektierendes Drama, das kurze Zeit danach ansetzt. Kapitän Chesley Sullenberger, genannt Sully, war der Pilot des Flugzeugs und traf angesichts eines beidseitigen Triebwerksausfalls auf Grund eines Vogelschlags bei weniger als 900 Metern Höhe die Entscheidung, nicht die nächstgelegenen Flughäfen anzufliegen, sondern auf dem Fluss notzulanden. Eine Untersuchungskommission widmet sich der Frage, ob er damit nicht das Leben der Passagiere grob fahrlässig gefährdet hat – und der Versicherung der Fluglinie einen Millionenschaden verursachte. Obwohl bei der Notwasserung alle der 155 Menschen an Bord gerettet wurden, wird Sully von Alpträumen geplagt, was hätte geschehen können. Auf Grund der Untersuchung ist er nicht bei seiner Familie, deren finanzielle Schwierigkeiten durch seine Suspendierung nur größer werden.

Der Druck, dem sich Sullenberger, behutsam und zurückgenommen gespielt von Tom Hanks, hier entgegensieht, ist immens. Von der öffentlichen Wahrnehmung ganz zu schweigen, wird er seit Tagen in der Presse als Held gefeiert, wohingegen man ihm andernorts grundsätzlich Versagen bei dem Notfall unterstellt.
So arbeitet Filmemacher Clint Eastwood das Ereignis aus mehreren Blickwinkeln auf, einmal im Rückblick des Titel gebenden Hauptcharakters, dessen schlimmste Befürchtungen eines Absturzes mehrmals visualisiert werden. Aber auch aus Sicht der Crew und Passagiere. Schließlich konzentriert er seinen Blick auf eine exakte Rekonstruktion der kontrollierten Notwasserung aus der Perspektive der Piloten durch den Kabinenrekorder.

Das Ergebnis ist ein ruhig erzählter Film, der Einblick nicht nur in die Gedankenwelt des Piloten gibt, sondern sich mit denjenigen Figuren beschäftigt, die oftmals übersehen werden, z.B. der Fluglotse im Tower oder die vielen Helfer der Küstenwache. Sully räumt ihnen allen Momente ein und zeigt unaufgeregt Bilder des abstürzenden Flugzeugs, oder der vielen Passagiere, die auf den Tragflächen auf Rettung warteten. Es sind Bilder, bei denen einem heiß und kalt wird. Doch statt die Angst und das Leid der Figuren in den Mittelpunkt zu rücken, findet der Regisseur eine bedeutend stärkere Aussage. Zu sehen, wie in diesem Moment eines größtmöglichen Unglücks alle Beteiligten zusammenhelfen, sich die Passagiere nicht gegenseitig blockieren, sondern gemeinsam an einem Strang ziehen, die Helfer überlegt und ohne Panik die Rettung einleiten, ist im besten Sinne des Wortes inspirierend. Es macht Hoffnung, dass diese Momente das Beste in den Menschen zum Vorschein bringen können und werden.

Mit etwas mehr als eineinhalb Stunden ist Sully der kürzeste von Clint Eastwoods Filmen und er scheint dabei sogar etwas länger, als er hätte sein müssen. Die Rückblicke zu zwei Schlüsselmomenten in Sullenbergers Karriere als Pilot sind zwar gut umgesetzt, aber inhaltlich nicht wirklich wichtig und ziehen das Publikum aus der tatsächlichen Erzählung. Ebenso die wiederholt eingestreuten Schreckensvisionen eines Absturzes des Flugzeugs in einem Wohngebiet. Sullys Befürchtungen kommen hier bereits beim ersten Mal genügend zum Ausdruck.

Dafür entschädigt Tom Hanks mit einer Darbietung, die in den leisen Momenten unter der beherrschten Oberfläche von Chesley Sullenberger erkennen lässt, wie ihn der Schock des Erlebten beschäftigt. Aaron Eckhart und Laura Linney stehen dem in nichts nach und machen Sully für ein Publikum, das sich auf ein ruhiges Drama anstatt auf einen Katastrophenfilm einlässt, mehr als sehenswert.


Fazit:
Nicht nur, wenn man bedenkt, dass alle der 155 Menschen an Bord von US Airways-Flug 1549 gerettet wurden, ist was die Piloten und Rettungskräfte an jenem Januartag im Jahr 2009 vollbracht haben, ein Wunder. Von der beängstigenden Situation des Triebwerksausfalls, bis hin zu den auf den Tragflächen und Rettungsrutschen wartenden Passagieren, präsentiert Sully viele Bilder, die im Gedächtnis bleiben und bei denen einem ein Schauer über den Rücken läuft. Anstatt diesen Schock verarbeiten können, müssen sich die Piloten einer Untersuchung stellen, die sie im ersten Moment als Sündenbock präsentiert. Doch Filmemacher Clint Eastwood macht aus den Leitern dieser Kommission keine Widersacher im eigentlichen Sinn, sondern bleibt erfreulicherweise stets sachlich.
Seine Nacherzählung der Ereignisse geht unter die Haut und ist ermutigend zugleich. Ein sehenswertes, berührendes Denkmal für buchstäbliche Helden des Alltags.