Deadpool [2016]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. Oktober 2016
Genre: Action / Thriller / Komödie

Originaltitel: Deadpool
Laufzeit: 108 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Tim Miller
Musik: Junkie XL
Darsteller: Ryan Reynolds, Morena Baccarin, Ed Skrein, T.J. Miller, Gina Carano, Jed Rees, Waléra Kanischtscheff, Brianna Hildebrand, Karan Soni, Kyle Cassie, Randal Reeder, Isaac C. Singleton Jr., Donna Yamamoto, Hugh Scott


Kurzinhalt:
Gerade als Wade Wilson (Ryan Reynolds) die Frau seines Lebens getroffen hat, Vanessa (Morena Baccarin), erhält er die erschütternde Diagnose: Krebs im Endstadium. Da wird ihm von einem zwielichtigen Rekrutierer (Jed Rees) angeboten, dass Wade geheilt werden könnte, wenn er sich einem Projekt anschließt, das ihn zu einem Superhelden macht. Er stimmt zu, doch tatsächlich will der Leiter des Projekts, Ajax (Ed Skrein), willenlose Mutanten erschaffen, um sie an die Meistbietenden zu verkaufen. Wade überlebt die Prozedur schwer entstellt und macht sich auf die Jagd nach Ajax. Als Deadpool nimmt er es mit dessen Privatarmee auf und wird erneut von X-Man Colossus (Waléra Kanischtscheff) angeworben ...


Kritik:
Die Verantwortlichen hinter Deadpool sind so sehr darum bemüht zu betonen, dass sie keinen normalen Comic-Superhelden-Film gemacht haben, dass es einen einlädt, auf die üblichen Klischees des Genres zu achten: Kostüm? Vorhanden. Traumatische Ursprungsgeschichte? Vorhanden. Austauschbarer Bösewicht? Vorhanden. Ein groß aufgebautes Finale, das aus keinem besonderen Grund an einem Ort spielt, an dem alles in Schutt und Asche gelegt werden kann? Vorhanden. Die Liste ist bedeutend länger und umfasst auch die Nebenfigur, die für Auflockerung sorgt, gesichtslose Horden an Bösewichtsgehilfen, die sich dem Helden in den Weg stellen, lockere Sprüche in Situationen, in denen man um sein Leben fürchten sollte und den obligatorischen Hinweis auf die Fortsetzung.

Nun werden Fans sicherlich argumentieren, dass Deadpool diese Elemente aufweist, weil sich die Figur und die Macher mit ihr über die unzähligen Klischees der Flut an Comicverfilmungen lustig machen. Ganz ohne Frage nimmt sich Deadpool auch nicht ernst – zum Glück angesichts der unzähligen Morde, die hier durch die Titelfigur begangen werden.
Nur, ist es lustiger, ein Klischee zu zeigen und darüber von der Leinwand herab zu lachen, oder ist es nicht entlarvender für die Konkurrenz, das Klischee zu zeigen und es dann absichtlich zu umgehen? Hauptdarsteller und Produzent Ryan Reynolds entscheidet sich zusammen mit Regisseur Tim Miller für die erste Variante. Jedes einzelne Mal. Genau so schnell wie das Klischee ermüdet, tut es auch die offensichtliche Vorführung desselben.

Die Geschichte des "ungeliebten Kindes", Deadpool, aus dem X-Men-Universum, der in X-Men Origins: Wolverine [2009] seinen ersten Auftritt im derzeitigen Kino-Universum hatte (welcher hier jedoch ignoriert wird), erscheint in Millers Umsetzung nur deshalb halbwegs einfallsreich, weil sie nicht in der richtigen Reihenfolge erzählt wird. Sie beginnt mitten in der, ausgenommen das Finale, einzig wirklichen Actionsequenz des Films. In Zeitlupe präsentiert der Regisseur, was er eindrucksvoll beherrscht: mit einem Blick für ausgefallene Bilder verleiht er Deadpool eine unverkennbare Optik, die sich auch den ganzen Film über hält. Von Anfang an durchbricht Reynolds die berühmte Vierte Wand und richtet sich mit Kommentaren direkt an das Publikum. Dass der Film dabei mit vielen Sprüchen sein eigenes Universum kaputt macht, nehmen die Macher bereits in der Comic-Vorlage billigend in Kauf. So beispielsweise, wenn Deadpool auf die X-Men angesprochen meint, die verschiedenen Zeitlinien wären so verwirrend mit James McAvoy und Patrick Stewart als Professor X. Das klingt lustig und wäre es auch in einem Spoof wie Hot Shots! - Die Mutter aller Filme [1991]. Ebenso die vielen Referenzen auf Reynolds' Titel als "Sexiest Man Alive" oder sein voriger Comicauftritt als und in Green Lantern [2011], der ihm wenig Ruhm eingebracht hat.

Doch eine Hauptfigur, die ständig darauf verweist, dass andere Figuren desselben Universums fiktive Charaktere eines Comic-Franchise sind, beraubt seine eigene Geschichte – die nach seiner Aussage eine Liebesgeschichte sein soll – jeglicher Zugkraft. So ist Deadpool am Ende eben das, mehr Spoof als eigenständiger Film, dessen zweites Standbein nach der zugegebenermaßen guten Optik der meist anzügliche Humor sein soll. Ich sage "sein soll", da Humor mehr noch als jede andere Form der Unterhaltung sehr subjektiv ist. Wer also einen Kommentar des Helden schon allein deshalb lustig findet, weil er vulgär ist und wer es noch viel lustiger findet, dass jede Situation mit drei aneinander gereihten Sprüchen mit Kraftausdrücken oder anzüglichen Vergleichen kommentiert wird, der wird an Deadpool seine Freude haben. Und es wird das Zielpublikum auch nicht stören, dass die meisten dieser Sprüche weit absehbar sind. Ich selbst konnte ein Mal lachen und eine Handvoll Mal schmunzeln. Die meisten Dauerwerbesendungen sind hier in meinen Augen (unbeabsichtigt) lustiger.


Fazit:
Hat es den Anschein, als würde die Geschichte in den meisten Comicverfilmungen deshalb keine Rolle spielen, weil sie ohnehin nur von einem Actionschauplatz zum nächsten führt, dann ist sie in Deadpool deshalb so papierserviettendünn, weil die Szenen nur ein Sprungbrett für Ryan Reynolds und seine direkten Kommentare an das Publikum sind. Entsprechend absehbar und unspektakulär ist die Story, ebenso wie die vielen Sprüche, die dasselbe Thema betreffend wohl im Dutzend billiger waren. Ja, das ist anders als die Comicfilme der vergangenen Jahre, wirklich neu ist es aber nicht. Dass man hieraus einen mitreißenden Film hätte machen können, zeigen die ernsteren Szenen, die gelungen sind (insbesondere die gelöschte Szene in Mexiko). Nur ein Film, der einen alle zwei Minuten ins Gesicht ruft "Ich bin ein Film!" beraubt sich jeder mitreißenden Dramaturgie. Immerhin: Tim Millers optisch einfallsreicher Spielfilmregieeinstand ist angenehm kurz. Das können heute die wenigsten Comicfilme von sich sagen.