Under the Skin - Tödliche Verführung [2013]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. Dezember 2014
Genre: Drama / Thriller / Science Fiction

Originaltitel: Under the Skin
Laufzeit: 108 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA / Schweiz
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Jonathan Glazer
Musik: Mica Levi
Darsteller: Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Lynsey Taylor Mackay, Dougie McConnell, Kevin McAlinden, Adam Pearson, D. Meade, Andrew Gorman, Joe Szula, Krystof Hádek, Roy Armstrong


Kurzinhalt:
Eine Frau (Scarlett Johansson) fährt mit einem Lieferwagen durch Schottland. Ihr Ziel sind einsame Männer, die sie scheinbar nach dem Weg fragt. Wer keine Familie besitzt, kommt für sie in Frage. Sie lockt sie in ein Haus mit der Aussicht auf Sex. Dort angekommen sind sie ihr verfallen, doch sie werden die Begegnung nicht überleben.
Nach und nach beginnt die Frau, deren Arbeit von einem Mann (Jeremy McWilliams) mit einem Motorrad überwacht wird, die Menschen um sie herum nicht mehr nur als Auftrag wahrzunehmen. Es setzt eine Wandlung in Gang, die sie nicht umkehren kann und ins Visier des Motorradfahrers bringt ...


Kritik:
Under the Skin - Tödliche Verführung ist ein visuell atemberaubender und seltsam schöner Film. Aber seine mitunter meditativen, beinahe berauschenden Bilder sind auf eine Geschichte aufgesetzt, die so minimalistisch gehalten ist, dass man so gut wie alles in sie hineinlesen kann. Kenner der Romanvorlage, von welcher der Film angeblich nur einige Schlüsselthemen und –elemente übernommen hat, werden mit dem Gezeigten mehr anzufangen wissen. Für sich genommen ist das Kunst um der Kunst Willen. Was man darin sieht hat man selbst mitgebracht.

Etwas über den Film zu verraten verdirbt ihn schon deshalb nicht, da es Regisseur Jonathan Glazer weniger darauf ankommt was erzeigt, als wie er es zeigt. Nach einem außergewöhnlich seltsamen, verstörenden Teaser, den man beim zweiten Mal ansehen besser verstehen wird als beim ersten, sehen wir einen Mann auf einem Motorrad. Er hält an, geht eine Böschung hinunter und als er wieder heraufkommt trägt er eine Frau über der Schulter. Wenig später sehen wir in einem konturlosen weißen Raum, wie diese Frau regungslos auf dem Boden liegt und von einer anderen Frau ausgezogen wird, die genauso aussieht wie sie. Die regungslose Frau ist jedoch nicht tot – eine einzelne Träne rinnt über ihr Gesicht und sie atmet noch. Wer sie ist, was mit ihr geschehen ist, bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. Nach Under the Skin liegt die Vermutung nahe, dass sie ist wie die neue Frau, verkörpert von Scarlett Johansson. Sie könnte auch ein Mensch sein.

Die neue Frau macht sich in einem Lieferwagen auf und spricht Männer am Straßenrand an. Sie ist an den einsamen interessiert, die keine Familie zuhause haben. Es ist, als wären die Rollen vertauscht, vermutet man in solchen Lieferwägen eher Männer, die einsamen Frauen auflauern. Die Szenen, in denen die Frau mehrere Männer anspricht wirken auf beunruhigende Weise dokumentarisch und sind angeblich mit normalen Männern, nicht mit Darstellern improvisiert. Die Frau verführt die Männer und lockt sie in ein Haus mit der Aussicht auf Sex. Erst nach und nach zeigt Regisseur Glazer, was mit den Opfern geschieht. Sie folgen ihr blind gegenüber allem, was um sie herum geschieht und versinken in einem schwarzen Etwas.
Was darin mit ihnen passiert lässt sich kaum beschreiben und liest man Interpretationen, dass dies den männlichen Zuschauern verdeutlichen soll, wie sich eine Vergewaltigung für Frauen anfühlt, kann man nicht dagegen argumentieren. Wohl aber dagegen, dass sich diese realen Verbrechen und deren Auswirkungen auf die Opfer in solch abstrakter Form stilisieren lassen.

Die kühle Distanziertheit in Scarlett Johanssons Blick und Gestik könnte kaum treffender für ihre Figur hier sein. Durch ihre Augen, vollkommen emotionslos, beschreibt Under the Skin einen Unfall an einem rauen Strand in Schottland. Es ist eine Tragödie, die sich langsam entfaltet und in der Einstellung eines allein gelassenen, schreienden Babys gipfelt. Es ist ein Moment, der einem einen Schauer über den Rücken jagt, umso mehr, wenn der Motorradfahrer in der Nacht erneut an dem schreienden Kleinkind vorbeiläuft.
Zu diesem Zeitpunkt ist das erste Drittel des Films bereits überstanden und nicht erst dann fragt man sich, was all das zu bedeuten hat. Die subtile Veränderung in dem Verhalten der Frau ist durchaus feststellbar, wenn sie Güte und Freundlichkeit erfährt. Sie ist dann nicht mehr ohne weiteres in der Lage, die Männer in ihr Verderben zu locken und ermöglicht einem Opfer sogar die Flucht. Nur was hat ihre Wandlung wirklich in Gang gesetzt? Und weshalb tut sie all das?

Sieht man, dass sie selbst in einer beunruhigenden Situation zuerst keine Angst hat, aber je mehr sie menschliche Züge annimmt auch Furcht verspürt, kann man argumentieren, dass unsere Emotionen uns zu dem machen, was wir sind. Aber wieso nur Furcht und Verletzlichkeit? Wieso löst nur Mitgefühl in der Frau eine Veränderung aus? Sind Freude und Liebe nicht die stärksten Emotionen?
Nach Under the Skin wurde Regisseur Jonathan Glazer immer wieder mit Stanley Kubrick verglichen. Aber auch wenn in Glazers Film ganz eindeutig jede einzelne Einstellung überlegt und durchdacht scheint, Kubricks Filme ließen bei wiederholtem Ansehen immer neue Schichten, neue Bedeutungen entdecken, weil der Filmemacher damit etwas aussagen wollte. Hier sind das Gezeigte und die Dialoge so spärlich gehalten, dass die einzige Bedeutung diejenige ist, die man selbst hineinliest. Dafür gibt es ein Publikum, aber nur ein sehr spezielles.


Fazit:
Im Internet kann man unzählige Interpretationen zu Under the Skin - Tödliche Verführung lesen, die mitunter gegensätzlicher kaum sein könnten. Angesichts dessen wie wenig Regisseur Jonathan Glazer vorgibt, sind sie alle für sich gesehen zutreffend. Die gezeigten Nacktszenen besitzen keine Sinnlichkeit, sondern sind so objektiv beobachtend wie die Frau die Menschen um sich herum wahrnimmt. Was ihre Wandlung wirklich auslöst ist zwar zu sehen, aber trotzdem unverständlich. Ebenso, weswegen sich der Mann in der zweiten Hälfte so freundlich ihr gegenüber zeigen sollte, da sie nicht einmal mit ihm spricht.
Die Bilder besitzen eine teils verstörende Schönheit und könnten aussagekräftiger kaum sein. Auch Scarlett Johanssons Darbietung offenbart so viele Facetten, dass man sie leicht übersehen könnte. Aber was geschieht und die Art wie es geschieht, ruft dem Zuschauer ständig ins Gesicht "Das ist Kunst!", sodass man angesichts des mitunter lähmend langsamen Aufbaus der Szenen diesen Schrei nicht mehr hören mag. Zu sehen, wie sich diese Frau, die offensichtlich nicht von unserem Planeten ist, zu einem Menschen entwickelt, hätte faszinierend sein können – nur was uns menschlich macht bringt der Film nicht zur Geltung.