Das Reich der Sonne [1987]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. Februar 2014
Genre: Drama / Kriegsfilm

Originaltitel: Empire of the Sun
Laufzeit: 153 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1987
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Steven Spielberg
Musik: John Williams
Darsteller: Christian Bale, John Malkovich, Miranda Richardson, Nigel Havers, Joe Pantoliano, Leslie Phillips, Masatō Ibu, Emily Richard, Rupert Frazer, Peter Gale, Takatarô Kataoka, Ben Stiller


Kurzinhalt:
Im Jahre 1941 hat die japanische Armee Teile des ländlichen Chinas besetzt. Der Schuljunge Jamie Graham (Christian Bale) lebt mit seiner Familie in einer Villa in der Internationalen Siedlung in Shanghai, die bislang diplomatischen Schutz genießt. Tausenden Bürgern der westlichen Welt ergeht es ähnlich. Doch die Spannungen nehmen zu und als Jamies Vater John (Rupert Frazer) mit eigenen Augen sieht, wie die chinesischen Truppen sich zum Schlag bereit machen, bringt er seine Frau Mary (Emily Richard) und seinen Sohn zum Hafen. Da ist es bereits zu spät: Beim Sturm der japanischen Armee auf Shanghai wird Jamie von seinen Eltern getrennt.
Er trifft auf die Amerikaner Basie (John Malkovich) und Frank (Joe Pantoliano), die sich mit allerlei Geschäften über Wasser halten. Doch sie werden wie alle anderen in ein Internierungslager gebracht. Während der Zweite Weltkrieg immer mehr Nationen mitreißt, wovon Jamie im Lager kaum etwas erfährt, sucht er sich Freunde, wo er sie finden kann. Sei es bei Dr. Rawlins (Nigel Havers), Basie oder dem japanischen Jungen (Takatarô Kataoka), der jenseits des Stacheldrahtzauns ebenso von Flugzeugen fasziniert scheint, wie Jamie selbst ...


Kritik:
Wenn man an die bekanntesten Filme von Regisseur Steven Spielberg denkt, wird Das Reich der Sonne meist vergessen. Dabei ist das auf Tatsachen basierende Drama um einen Jungen während des Zweiten Weltkriegs kein schlechter Film, ganz im Gegenteil. Nur scheint sich selbst der Filmemacher nicht entscheiden zu können, was für ein Film es sein soll. Die starken Szenen und die bedeutungsvollen Bilder tragen zusammen mit erstklassigen Darstellern eine Geschichte, zu der man nur schwer Zugang findet.

Die Umsetzung von J.G. Ballards autobiografischem Roman ist aus der Sicht des knapp zwölf Jahre alten Jamie Graham erzählt, der als Sohn wohlhabender britischer Eltern im Jahr 1941 in der Internationalen Siedlung in Shanghai aufwächst. Von der politischen Situation, dem Konflikt der chinesischen und japanischen Streitkräfte, der Shanghai selbst betrifft, weiß er nur wenig. Stattdessen ist er von den immer wieder über ihnen kreisenden Flugzeugen fasziniert. So abgeriegelt wie die Siedlung, scheinen sogar die Erwachsenen in ihrer eigenen Welt zu leben. Beim Besuch eines Kostümballs wird das Pulverfass, auf dem sie sitzen zwar spürbar, doch der große Krieg findet in Europa statt – und Pearl Harbor ist noch nicht passiert.

Sogar aus Sicht des unschuldigen Jamie wird die Spannung greifbar, die sich aufbaut, als sie in einem Hotel in Shanghai übernachten, um im Zweifel schneller per Boot abreisen zu können, sollte die Lage kippen. Und bricht nach dem Einmarsch der japanischen Armee die Panik unter der Bevölkerung aus, bei der Jamie von seinen Eltern getrennt wird, spürt man schlagartig, wie allein er in einer Welt ist, die uns so fremd erscheint, auch wenn es die einzige ist, die er kennt.
Das einzig schwierige daran ist, dass Jamie kein sehr sympathischer Junge ist. Als Mitglied der oberen Zehntausend ist er davon überzeugt, wie er selbst sagt, dass die einheimischen Bediensteten tun müssen, was er sagt und dass er sich alle Freiheiten herausnehmen kann, die er möchte. Man sollte meinen, dass Das Reich der Sonne seinen Fall nach dem Verlust seiner Privilegien umso stärker zeigen würde, doch stattdessen beweist Jamie eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit.

Er trifft in den Straßen auf Basie und Frank, die sich mit allerlei Geschäften durchschlagen. Von Basie lernt Jamie, immer auf seinen Vorteil bedacht zu bleiben, um zu überleben. Umso mehr, als sie mit vielen anderen Jahre in einem Internierungslager verbringen. Statt sich von der grausamen Realität, der ständigen Brutalität durch die japanischen Aufseher, oder die immer mehr Insassen dahinraffenden Krankheiten, einholen zu lassen, bewahrt sich Jamie viel von seiner Natur, schwimmt mit dem Strom und bleibt beharrlich, wenn es darum geht, sich durchzuschlagen. Man kann es ihm nicht verdenken. Er sieht in Basie ebenso eine Leitfigur, wie zuvor in seinem Vater und beobachtet er die japanischen Piloten vor ihrem Start, strahlt sogar angesichts seiner eigentlichen Feinde Bewunderung in seinen Augen. In seiner Welt ohne wahre Helden ist jeder für ihn ein Held. Zumindest in gewissem Maße.

Der damals erst 13jährige Christian Bale brilliert in einer schwierigen Rolle, bei der Jamie zunehmend von seinen Erlebnissen geformt wird. Sieht man durch seine Augen die Detonation der Nagasaki-Bombe, verliert die ganze Welt die Naivität, die er sich sogar im Internierungslager erhalten hat. John Malkovich und Joe Pantoliano machen das Beste aus ihren Figuren, deren Motivation man nie vollkommen versteht, während an Miranda Richardson der persönliche Zerfall im Lager auf beängstigende Weise spürbar wird.

Es ist eine tolle Besetzung, die in authentisch ausgestatteten Szenen jene Zeit wiederaufleben lässt. Auch findet Regisseur Spielberg viele Bilder und Momente, die für Gänsehaut sorgen. Sei es Jamies Begegnung mit einem Trupp chinesischer Soldaten beim Kostümball, oder die von den japanischen Militärs in einem Stadion versammelten Kunstschätze, die so leblos wie fehlplatziert erscheinen. Vieles in Das Reich der Sonne hat einen traumähnlichen Charakter. Wie sonst sollte ein Junge, der seine Jugend im Lager verbringt und dort sogar in die Pubertät gerät, diese Welt auch wahrnehmen. Aber so emotional viele Szenen für sich genommen sind, als Ganzes wirkt das Drama seltsam losgelöst und es ist nur schwer, einen Zugang dazu zu finden.


Fazit:
Auch wenn es irrational klingt, dem Schuljungen Jamie einen Vorwurf machen zu wollen, dass er aus vielen Situationen seinen Vorteil zu ziehen versucht, anstatt Taktgefühl zu zeigen und pietätvoll zu handeln, es macht ihn schließlich nicht sehr sympathisch. Dabei kann er gar nicht anders, sein Charakter formt sich in einer Zeit, die jeder Vernunft widerstrebt und in einer Umwelt, die keinen Sinn ergibt. Aber so gelungen die Zeichnung seiner Figur ist und so stark er von Christian Bale gespielt wird, es bleibt eine Distanz zu ihm, die der Film nie überbrückt.
Regisseur Steven Spielberg kleidet sein Kriegsdrama in teils erschütternde Bilder, deren emotionale Wucht er in seinen kommenden Werken jedoch weit übertrifft. Das Reich der Sonne lebt gleichermaßen von der Ausstattung wie der Besetzung und auch die Geschichte ist erzählenswert. Es fehlt nur eine eindeutige Sympathiefigur, die Jamie selbst nirgendwo findet und zu der er selbst somit nicht heranwachsen kann.